Hamburg. Die Wissenschaftlerin Antje Wiener erklärt außerdem, was das Verbot von sexualisierter Gewalt mit Klimagerechtigkeit verbindet.

Der Klimaschutz kann nur zögerliche Erfolge vorweisen. Die Wissenschaft drängt, doch Klimaziele werden nicht erfüllt und Entscheidungen verzögert. Die „Fridays for Future“-Demonstrationen zeigen weltweit, dass etwas schiefläuft. Im Pariser Klimaabkommen haben sich die beteiligten Staaten verpflichtet, ihre Emissionen schnell zu verringern. Doch Deutschland und viele weitere Länder werden dieses Ziel nicht erreichen. Das stößt besonders bei Jugendlichen auf so viel Widerstand, dass sie regelmäßig öffentlich protestieren.

Am Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS der Universität Hamburg interessiere ich mich für den Hintergrund der Proteste. Solche Konflikte sind stets ein Zeichen dafür, dass eine Norm verletzt oder missachtet wird. Ich erforsche solche Normen. Wie entstehen sie überhaupt? Welche Norm ist legitim – und für wen? Wer bricht sie, wann und warum?

Universität Hamburg: Klimagerechtigkeit als Norm

Entlang dieser Fragen habe ich drei ganz unterschiedliche Normen der internationalen Politik untersucht: das Folterverbot, die Grundrechte von Einzelpersonen im Falle von Sanktionen sowie das Verbot von sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Kriegssituationen. Aus den Analysen kann ich Grundmuster ableiten, die sich auf ähnliche Normen übertragen lassen. Warum funktioniert die eine Norm gut, eine andere nicht? Erfolgreich sind Normen immer dann, wenn sie von möglichst vielen Menschen als legitim empfunden werden.

Klimagerechtigkeit ist als Norm bislang kaum erforscht. Womit lässt sie sich vergleichen? Besonders eine der drei Normen kann hier viele Gemeinsamkeiten aufweisen und als Denkvorlage dienen: das Verbot von sexualisierter Gewalt. Beide Normen haben sich über Jahrzehnte entwickelt, sind gegenwärtig international bekannt, werden durch ein breites Netzwerk getragen und sind entscheidend durch lokale Gruppen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vorangetrieben worden.

Auch die Klimanorm ist heute international etabliert

Für ein Verbot von sexualisierter Gewalt kämpften Frauenverbände und NGOs auf der ganzen Welt mehr als ein halbes Jahrhundert lang. Im Jahr 2000 wurde es schließlich in einer UN-Resolution festgeschrieben. Viele Staaten entwickelten daraufhin nationale Schutzpläne. Den von Gewalt Betroffenen war es wichtig, dass die Verbrechen detailliert aufgeschrieben und damit offiziell dokumentiert wurden, sogar wichtiger als ein Urteil vor Gericht.

Heute wird sexualisierte Gewalt in einigen Ländern weiterhin nicht systematisch verfolgt. Trotzdem hat die Norm offiziell weltweit eine hohe Legitimität und gilt in vielen Staaten als erfolgreich etabliert. Auch die Klimanorm hat eine lange Vorgeschichte. Schon in den 1960er-Jahren warnte die Wissenschaft vor einer Erderwärmung, 1973 fand in Genf die erste Weltklimakonferenz statt. Durch unterschiedliche Akteurinnen und Akteure wurden Klimathemen immer wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Das Thema ist heute international etabliert und teilweise gesetzlich verankert.

Politiker tragen ihre eigene Klimanorm nicht mit

Wie entstehen also tragfähige Normen? Je mehr Menschen verschiedenster Gruppen sie ausgehandelt haben, desto legitimer ist sie. Kurz gesagt: Um eine erfolgreiche Norm wurde zuvor lange gestritten. Damit hätte die Klimanorm gute Voraussetzungen. Warum klappt es trotzdem nicht?

Offensichtlich trägt die Politik ihre eigene Norm nicht mit. Mitglieder der Regierungen sind entweder selbst nicht überzeugt, dringend handeln zu müssen – oder sie fürchten, dass ihre Wählerinnen und Wähler nicht mehrheitlich überzeugt sind. Eine stabile Norm entsteht aber nur gemeinsam mit der Gesellschaft. Dabei muss sie nicht nur in die Entwicklung der Klimapläne mit eingebunden werden, sondern auch die effektive Umsetzung mitgestalten.