Die Hochgeschwindigkeitsstrecke in die Hauptstadt hat ihren Namen nicht verdient – eine Peinlichkeit erster Klasse.

Von Köln bis Frankfurt schafft es die Bahn in gut einer Stunde, 180 Kilometer liegen zwischen der viert- und der fünftgrößten Stadt; wer von Berlin nach München reist, benötigt für die knapp 600 Kilometer weniger als vier Stunden trotz mehrerer Haltepunkte. Eher gemächlich geht es zwischen den größten deutschen Städten zu: Von Hamburg nach Berlin benötigen die meisten Züge inzwischen wieder rund 110 Minuten – für 280 Kilometer. Die Zeiten, als man in eineinhalb Stunden die Metropolen wechseln konnte, sind lange dahin. Ausgerechnet auf der Strecke, auf der mit dem „Fliegenden Hamburger“ seit 1933 die damals weltweit schnellste Zugverbindung verkehrte, geht es heute eher beschaulich zu. Warum eigentlich?

Der Misserfolg hat viele Väter. Einer heißt Transrapid. Wegen des Prestigeprojekts, das beide Metropolen verbinden sollte, spielte der Ausbau der Trasse lange Zeit keine Rolle – man wollte Konkurrenz vermeiden. Das änderte sich, als vor 19 Jahren die Magnetschwebebahn gekippt wurde; die Bundesregierung entschied sich daraufhin, die bestehende Strecke auf 263 Streckenkilometern von einer Geschwindigkeit von 160 auf bis zu 230 km/h auszubauen. Klingt schnell, ist es aber nicht: Die Schnellstrecken nach München oder im Rheinland lassen Geschwindigkeiten von 300 km/h zu.

Immerhin: Nach der Fertigstellung rauschten die Züge werbewirksam in 90 Minuten nach Berlin – es blieb ein kurzes Vergnügen. Heute sind selbst die schnellsten Züge, die in Spandau durchfahren, knapp unter 100 Minuten unterwegs. Bahnkritiker Arno Luik, der mit seinem Buch „Schaden in der Oberleitung“ die Bestsellerlisten stürmte, sieht mehrere Ursachen: Demnach sind sowohl die Infrastruktur wie die Züge selbst nicht mehr so gepflegt wie früher.

"Techniker und Werkstätten sind überlastet“

„Reparaturintervalle wurden gestreckt, Techniker und Werkstätten sind überlastet.“ Die Zahl der sogenannten Langsamfahrstellen steigt. „Die Bahn baut wegen dieser Probleme seit einigen Jahren ,Puffer‘ in ihre Fahrpläne ein, um Verspätungen zu kaschieren“, erzählte mir Luik. Ein weiteres Problem sieht er in den Planungen des beginnenden Jahrtausends. „Tempo 250 wäre auf diesem flachen, leeren Land leicht möglich, ist aber komischerweise nicht vorgesehen.“ Solche Geschwindigkeiten erfordern beispielsweise besondere Überholgleise auf Bahnhöfen wie in Wittenberge oder Ludwigslust. „Das sah die Planung merkwürdigerweise aber nicht vor.“

Schlimmer noch, so Luik: „Auf der Strecke nach Berlin, das ist bundesweit einmalig und extrem gefährlich, zischen die Züge direkt an den Bahnsteigen mit Tempo 230 durch.“ Er hat bei seinen Recherchen noch mehr Unglaubliches zutage gefördert: Auf der Strecke gibt es „gravierende, unverzeihliche Fehler“, etwa zu enge Gleisbögen bei Hagenow Land oder zu enge Gleisführungen.

Strecke Hamburg–Berlin ist extrem ausgelastet

Für Tempo 250 und mehr müssen die Abstände von Gleismitte zu Gleismitte mindestens vier Meter betragen – und das tun sie laut Lokführern offenbar häufig nicht. Besonders bizarr muten auf der Strecke zwischen den größten Metropolen Deutschlands drei sogenannte „Ausschaltstellen“ an – vor Hagenow Land, in Glöwen und Friesack: „Über mehrere Hundert Meter Strecke haben die Züge dort keine Energie, salopp gesagt: Sie rutschen, rollen da einfach stromlos durch.“ Deshalb müssen die Züge ihre Geschwindigkeit drosseln. „Da herrscht Zugmittelalter.“

Zudem ist die Strecke inzwischen extrem ausgelastet. Anders als etwa in Frankreich benützen neben Regional- auch Güterzüge die sogenannte Mischverkehrsstrecke. Sie belasten nicht nur allein durch ihr Gewicht die Gleise, sie halten auch den Verkehr auf. Da teure Weichen fehlen, mangelt es an Überholmöglichkeiten. „Auch diese Strecke zeigt erschreckend und beispielhaft die Inkompetenz der DB-Planer auf“, so Luik.

Eine Besserung ist kaum in Sicht: „Da es sich um einen Ausbau beziehungsweise Neubau handeln würde, müsste es in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen werden“, sagt ein Bahnsprecher. Das ist nicht in Sicht. Alle Ausbauszenarien schieden in einer Erstbewertung aus. So werden die Züge weiterhin mit höchstens 230 km/h über Land zuckeln. Übrigens: 1931 stellte der Schienenzeppelin einen weltweiten Geschwindigkeitsrekord auf, der bis 1955 gültig war. Das war auf genau dieser Strecke vor Wittenberge mit 230,2 km/h, damals, als Deutschland noch eine führende Industrienation war.