Hamburg. Neues aus der Klimaforschung: Ozeanografin Johanna Baehr erstellt Prognosen für folgende Monate und Jahre.

Der Atlantik gilt als die Wetterküche Europas – er bringt die Wärme aus den Tropen bis vor unsere Küsten und spielt daher eine wichtige Rolle bei der Wettervorhersage. Dennoch wird er in den entsprechenden Prognoserechnungen stiefmütterlich behandelt: Während die Vorgänge in der Atmosphäre detailliert verfolgt und dazu Tausende von Werten berechnet werden, gehen der Ozean und seine Wärmezufuhr oft nur mit einem einzigen Wert in die Berechnungen ein.

Zwar ist der Atlantik mal wärmer, mal kälter. Verglichen mit der Atmosphäre reagiert der Ozean aber eher träge: Er kann beispielsweise viel Energie aufnehmen, ohne dass sich die Oberfläche spürbar erwärmt. Gleichzeitig speichert er die Wärme lange Zeit und gibt sie nur langsam wieder ab.

Daher ist es üblich, für kurzfristige Vorhersagen einfach den Anfangswert beizubehalten – da sich die Wassertemperatur in dieser Zeit erfahrungsgemäß nur wenig ändert. Das funktioniert auch: Gleicht man die Vorhersage später mit dem realen Wettergeschehen ab, sehen wir, dass beides trotz der Vereinfachung gut übereinstimmt.

Bisher waren Vorhersagen sehr unzuverlässig

Anders sieht es aus, wenn es um Vorhersagen für ein oder mehrere Jahre geht, also etwa um die Frage, ob der nächste Winter sehr kalt wird oder der Sommer besonders trocken. Diese Art von Prognosen erstelle ich am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg mit meinem Team – und sie sind besonders knifflig. Da ist es ein bisschen so wie bei einer Klassenarbeit: Liegt der Schnitt gewöhnlich bei Note Drei, heißt das noch lange nicht, dass der Schüler Tom oder die Schülerin Julia auch eine Drei schreiben und am Ende des Jahres versetzt werden.

Vielmehr hängt das Ergebnis davon ab, wer konkret welche Voraussetzungen mitbringt – also etwa ob Tom das Richtige gelernt hat oder Julia am Abend vorher auf einer Party war. Genauso müssen wir für unsere mehrjährigen Vorhersagen wissen, wie viel Wärme der Atlantik zu Beginn der Vorhersageperiode tatsächlich mitbringt.

Bisher waren Vorhersagen dieser Art deshalb sehr unzuverlässig. Die Trefferquote betrug kaum mehr als 50 Prozent. Berücksichtigen wir bei der Wassertemperatur jedoch, wie der Zustand vom langjährigen Mittel abweicht, zum Beispiel ob die Temperaturen zu Beginn im Mai diesmal vergleichsweise hoch oder niedrig waren, sind die Ergebnisse mit bis zu 80 Prozent deutlich zuverlässiger. Unsere Ergebnisse sind immer dann besonders nah an der Realität, wenn die Anfangstemperatur extrem vom Durchschnitt abweicht. Ist der Atlantik also im Mai außergewöhnlich warm oder kalt, können wir die kommenden Monate und Jahre umso treffender vorhersagen.

Weniger ist womöglich mehr

Das ist auch deshalb interessant, weil es einen Philosophiewechsel bedeutet. Bisher galt: Je mehr Eingangswerte wir mitteln, desto treffender die Prognose – weil kurzfristige „Ausreißer“ dann kaum ins Gewicht fallen. So waren wir es in der Wissenschaft jahrelang gewohnt. Jetzt lernen wir: Weniger ist womöglich mehr. Heißt: Zu bewerten, ob ein bestimmter Eingangswert ungewöhnlich war oder nicht, kann bessere Ergebnisse liefern als das reine Mittel – je nachdem, welches Zeitfenster man betrachtet.

Es kann daher sinnvoll sein auszuwählen und einzelne Faktoren stärker zu gewichten, quasi eine Art Einzelfallbetrachtung. So schließt eine allgemeine Temperaturzunahme nicht aus, dass es in der konkreten Situation nicht doch ein besonders kaltes Jahr gibt. Genauso wenig bedeutet eine generelle Zunahme des Niederschlags, dass es vorübergehend nicht noch zu Dürren kommt. Wir schauen uns deshalb genau an, welche Werte wir für welche Art Vorhersagen verwenden müssen, um am Ende zuverlässigere Prognosen zu erhalten.