Die verschärfte Regel 50 der Olympischen Charta schränkt Meinungsäußerung stark ein. Dagegen sollten die Athleten sich wehren.
In dieser Woche stellte sich auch der Profifußball gegen die Herren der Ringe. Die Spielervereinigung FIFpro, die weltweit die Belange von 65.000 Berufskickern vertritt, kündigte an, jedes ihrer Mitglieder zu unterstützen, das während der Olympischen Sommerspiele in Tokio (24. Juli bis 9. August) politischen Protest äußern, sich gesellschaftlichen oder sozialen Themen widmen möchte.
FIFpro-Generalsekretär Jonas Baer-Hoffmann sagte: „Die Meinungsfreiheit und die Möglichkeit, sich zu politischen Themen zu äußern, muss geschützt werden.“ Dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) diese Rechte beschneiden wolle, sei „absolut inakzeptabel“. Recht hat der Mann; umso trauriger, dass diese Sätze gesagt werden müssen.
Tokio 2020: Keine eigene Meinung im Stadion erlaubt
Vor zwei Wochen hatte das Exekutivkomitee des IOC eine Konkretisierung der Regel 50 der Olympischen Charta verabschiedet. Diese gibt den Rahmen vor, in dem olympische Athleten ihre Meinung offen äußern können. In Tokio ist dies laut der Neufassung noch in Pressekonferenzen, Interviews oder Teammeetings gestattet. Nicht mehr erwünscht sind Meinungsäußerungen – ob verbal oder durch Gesten, Bilder, Stirn- oder Armbänder – an den Wettkampfstätten, während der Siegerehrungen und im Olympischen Dorf.
Als Begründung für die Verschärfung, der auch die IOC-Athletenkommission zustimmte, führte der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach an, dass seine Organisation politisch neutral sein müsse. „Wir können unsere Mission, die Welt zu vereinen, nur erreichen, wenn die Olympischen Spiele jenseits aller politischen Differenzen stehen. Wir können globale Solidarität nur schaffen, wenn das IOC und die Spiele politisch neutral sind“, sagte er. Man möchte laut lachen angesichts dieser Zwiespältigkeit.
Olympia ist per se politisch
Dass Olympische Spiele in ihrem Ursprungsgedanken, die Jugend der Welt zusammenzubringen, zutiefst politisch sind, dürfte niemand bestreiten. Und wenn es der IOC-Führung in ihrem Bestreben, den Friedensnobelpreis zu gewinnen, in ihre Agenda passt, wird Symbolpolitik von oben verordnet. Oder glaubt jemand, dass die südkoreanischen Eishockeyfrauen bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang freiwillig vier schwächere Spielerinnen aus dem verfeindeten Norden des Landes in ihre Mannschaft integrierten?
Man kann das Ansinnen des IOC, insbesondere Siegerehrungen nicht durch Nebengeräusche zu entwürdigen, verstehen. Aber Athleten sind nicht dafür bekannt, beliebig zu protestieren und ihren siegreichen Kontrahenten damit den goldenen Moment ihres Lebens zu verderben. Sie setzen ihre Proteste erst ein, wenn im Hintergrund geäußerte Bedenken nicht ernst genommen werden.
Kraftvolle Bilder bewegen die Welt
Kraftvolle Bilder wie das von der Schwimm-WM 2019, als der Australier Mack Horton sich weigerte, das Podium mit dem chinesischen Dopingsünder Sun Yang zu teilen, bewegen die Welt. Das IOC, so der Eindruck, kümmert sich lieber darum, gerechtfertigte Proteste zu sanktionieren, als diejenigen zu verfolgen, die diese Proteste auslösen.
Im Olympiamuseum in Lausanne werden die Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos als „Veränderer“ gewürdigt, die mit ihrem Protest halfen, gesellschaftliche Umwälzungen herbeizuführen. Die beiden Afroamerikaner hatten 1968 in Mexiko-Stadt nach ihrem 200-Meter-Rennen auf dem Podium die Fäuste als Zeichen der Unterstützung für die „Black Power“-Bewegung gereckt. Das Bild kennt jeder Sportfan. Athleten, die eine ähnliche Geste in Tokio wiederholen, wären keine Veränderer. Sie würden im schlimmsten Fall disqualifiziert.
Gegen diese Ignoranz hilft nur ziviler Ungehorsam der Masse. Das IOC hat ein Problem, wenn sich alle hinter einer guten Sache wie zum Beispiel dem Klimaschutz vereinen und dafür ein Zeichen setzen, sichtbar bei jeder Siegerehrung. Wer 10.500 Veränderer maßregeln würde, disqualifizierte nur: sich selbst.