Die Diskussion um eSports hat das königliche Spiel erreicht. Die körperlichen Belastungen am Brett sind aber nachweisbar.
In den nächsten zwei Wochen, vom 5. bis zum 17. November, werden im Kehrwieder Theater in der Hamburger HafenCity 16 der weltbesten Großmeister um den mit 130.000 Euro dotierten Grand Prix des Weltschachbundes Fide ziehen. Es ist die bedeutendste Veranstaltung des königlichen Spiels in Hamburg, seit 1965 im Curio-Haus an der Rothenbaumchaussee der Mannschaftseuropameister ermittelt wurde. Die Sowjetunion setzte damals alle Konkurrenten matt.
Schon in den 1960er-Jahren gab es erste Diskussionen, was Schach nun sei: Sport? Kunst? Oder Wissenschaft? Eigentlich schien der Status bereits 1950 mit der Aufnahme in den Deutschen Sportbund (DSB) geklärt. Doch die Debatten verstummten nie, auch jetzt wird diese Kategorisierung wieder infrage gestellt.
eSports und Schach – was eine Förderung bedeutet
Ursache sind die Bestrebungen des hoch kommerzialisierten und industrialisierten eSports, Aufnahme in den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zu finden, auf diese Weise entsprechende steuerliche Privilegien zu erlangen und staatliche Zuschüsse zu erhalten.
Der DOSB lehnt dies bisher ab. Im Zuge dieser Auseinandersetzung ließ der Verband in einem Positionspapier wissen, dass er heute auch Schach nicht mehr als Sportart anerkennen würde. Strategischen Gedankenspielen fehle die wichtigste Komponente, die Sport ausmache, nämlich körperliche Bewegung.
Gehört der Kopf zum Körper?
Nun sei dahingestellt, ob der Kopf zum Körper gehört oder nicht. Jedenfalls klingt es nach einer verqueren Argumentation, dass es selbstverständlich als Sport gilt, wenn jemand mit der Absicht, sein Gegenüber kampfunfähig zu machen, diesem auf den Kopf haut, woraus ernst zu nehmende Gesundheitsschäden resultieren können – es aber kein Sport sein soll, wenn jemand aktiv sein Gehirn einschaltet, um seinen Kontrahenten mit den Mitteln des Geistes sanft auszuschalten versucht, was zum Beispiel im Kampf gegen Alterskrankheiten wie Demenz hilft.
Schon die alten Römer sahen in Kopf und Körper eine Einheit und postulierten, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper stecken möge.
Sport definiert sich nicht nur als Bewegungsart. Dazu gehören vom Spielprinzip her Chancengleichheit, einheitliche Regeln, internationale Organisationen, Zugang für jedermann, Wettkampfstrukturen – und ebenso eine Vermittlung gesellschaftlicher Werte wie Fairness und Respekt. All das erfüllt Schach.
Schach-Weltmeister wurden "Sportler des Jahres"
Das Spiel fördert bei Kindern und Jugendlichen die Konzentration, führt zu besseren Schulnoten besonders in Mathematik, was Lehrer immer wieder beobachten. Die russischen Weltmeister Anatoli Karpow und Gary Kasparow, der Inder Viswanathan Anand und der Norweger Magnus Carlsen, der amtierende Titelträger, sind in ihren Heimatländern als „Sportler des Jahres“ ausgezeichnet worden. Niemand nahm daran Anstoß.
Welche körperlichen Belastungen ein vier- bis fünfstündiges Schachspiel auslöst, hat der Münchner Großmeister, Arzt, Psychologe und TV-Moderator Helmut Pfleger vor 40 Jahren zu erforschen versucht. Erste Erkenntnisse gewann er bei einem Weltklasseturnier 1979 in München, an dem unter anderem der damalige Weltmeister Karpow, der ehemalige Champion Boris Spassky und die deutsche Nummer eins, Robert Hübner, teilnahmen.
EKG, Blutdruck und weitere Werte gemessen
Vertiefen konnte er seine Ergebnisse bei einem von ihm organisierten Schach-Medizin-Turnier 1981 in der Sportschule Grünwald bei München, bei dem zehn Spieler des deutschen Junioren-Nationalkaders mitwirkten.
Dabei wurden während der Partien fortlaufend EKG, Blutdruck, Atemfrequenz, Hautwiderstand, Blutgase, Katecholamine und sämtliche Laborwerte gemessen sowie Ergometrien durchgeführt. „Es zeigte sich, dass Schach in Bezug auf die körperliche Belastung und Leistungsfähigkeit durchaus mit anderen (Leicht-)Sportarten (wie zum Beispiel Sportschießen, die Red.) vergleichbar ist“, berichtete Pfleger. In kritischen Stellungen lag die Herzfrequenz bei bis zu 155 Schlägen pro Minute, der systolische Blutdruck stieg auf 200 mmHg.
Seine Schlussfolgerung: Ohne eine gewisse körperliche Fitness lässt sich auf Dauer kaum der richtige Zug finden. Alle führenden Großmeister haben das längst erkannt, bereiten sich nicht nur am Computer, auch im Fitnessclub, auf dem Tenniscourt oder dem Fußballplatz (Carlsen) auf ihre Turniere vor. Letztlich ist es ihnen aber egal, was Schach nun ist, ob Sport, Kunst oder Wissenschaft. Es ist von allen drei etwas – aber vor allem eins für sie: Leidenschaft.