Berlin. Das von Kramp-Karrenbauer anvisierte UN-Mandat ist ebenso eine Illusion wie ihr Vorschlag einer Schutzzone. Grund dafür ist Russland.

Selten hat ein Politiker einen derartigen Stich ins Wespennest gewagt wie Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Ihr Vorstoß, in Nord­syrien eine international kon­trollierte Schutzzone einzurichten, hat in der deutschen Innenpolitik heftige Reaktionen ausgelöst. Zu unausgegoren, zu unkonkret, zu wenig abgestimmt, echauffierte sich der düpierte Koalitionspartner SPD im Schulterschluss mit der Opposition.

In der Außenpolitik war das Echo gemischt. Die Nato nahm den Vorschlag höflich zur Kenntnis, doch die Zustimmung ging über unverbindliche Floskeln nicht hinaus. Auch in der EU hielt sich der Enthusiasmus in Grenzen. Die Antwort aus Russland war kurz und knapp: überflüssig.

Schutzzonen-Idee reflektiert den Frust der Europäer

Kramp-Karrenbauer wurde von zwei Kräften angetrieben. Zum einen brauchte die im Umfragetief verharrende CDU-Vorsitzende einen Befreiungsschlag – die Vorneverteidigung entspricht ihrem politischen Naturell. Zum anderen reflektiert die Idee einer Schutzzone den tief sitzenden Frust der Europäer, insbesondere der Deutschen. Bei allen außenpolitischen Konfliktherden der vergangenen Jahre – ob Syrien, die Terrormiliz IS oder der Tankerkrieg im Persischen Golf: Die EU war ohnmächtig. Sie mahnte, moralisierte, beschwor die westliche Wertegemeinschaft. Doch sie war kein maßgeblicher Akteur.

Aus dieser depressiven Befindlichkeit heraus appellierte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker: „Die EU muss weltpolitikfähig werden.“ Es klang wie ein Stoßgebet. Vier Jahre zuvor hatte Bundespräsident Joachim Gauck bereits der Republik ins Gewissen geredet: „Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen.“ Wenn Menschenrechte massiv verletzt werden, darf auch ein militärischer Einsatz kein Tabu sein, hieß die Botschaft. Aber es blieb ein Ausflug in wolkige Polit-Philosophie.

Deutschland ist kein weltpolitischer Faktor

Zugegeben: Die Bundeswehr nimmt an Auslandseinsätzen wie in Mali oder Afghanistan teil, sie bildet Peschmerga-Kämpfer im Nordirak aus. Aber Deutschland ist – wie die EU – kein weltpolitischer Faktor. Das schmerzt, weil Europa von den Spannungsherden durch die Flüchtlingskrise besonders betroffen ist.

Der große machtpolitische Spieler dieser Zeit ist Russlands Präsident Wladimir Putin. Er begreift sich als Hüter des Status quo. Er stützt zusammen mit dem Iran Syriens Diktator Baschar al-Assad. Und er bringt es fertig, Assad-Feinde wie den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan für seine Zwecke einzuspannen. Putin ködert ihn mit einer Teilkontrolle über Nordsyrien. Damit treibt er das Nato-Mitglied Türkei in die Arme Moskaus und spaltet so das Bündnis.

Russland hat in Syrien Fakten geschaffen

Zudem verfügt Putin über das machiavellistische Geschick, hartgesottene Iran-Gegner wie Israel oder die Golf-Staaten in sein geopolitisches Schachbrettdenken einzubinden. Er hat blitzschnell erkannt, dass der Zauder-Kurs des früheren US-Präsidenten Barack Obama in Syrien seine Chance ist. Im September 2015 intervenierte Russland in dem vom Krieg geschundenen Land.

Der Westen hat Syrien zu lange in Schwarz-Weiß-Kategorien eingeteilt. Auf der einen Seite der „Unterdrücker“ Assad. Auf der anderen Seite die „demokratische“ Opposition. Dass dahinter ein buntscheckiges Sammelsurium steckt, wurde verdrängt.

Nach dem Rückzug der Amerikaner hat Putins Machtpolitik Fakten geschaffen. Russland ist permanentes Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und kann jede Resolution mit seinem Veto blockieren. Das von Kramp-Karrenbauer anvisierte UN-Mandat ist daher ebenso Illusion wie ihr Vorschlag einer Schutzzone.