Dortmund. DFB-Präsident, Bundestrainer, Co-Trainer und die meisten Neulinge kommen aus dem Breisgau. Was bedeutet das für die Nationalmannschaft?
Es gab Zeiten in der Nationalmannschaft, in denen wurde aufgrund der Vielzahl der Profis vom FC Bayern München vom FC Deutschland berichtet. Dann war es mal die Borussia Deutschland, über die aufgrund der zahlreichen BVB-Profis in der Nationalmannschaft geschrieben wurde. Beides waren hübsche Momentaufnahmen, die aber auch nur bedingt überraschend daherkamen. Bayern München und Borussia Dortmund sind die Platzhirsche des deutschen Fußballs – da ist es wenig verwunderlich, dass die zementierten Marktführer auch eine prägende Rolle bei der Eliteauswahl des Landes spielen.
Ziemlich verwunderlich ist dagegen der neuste Trend, der sich einerseits überdeutlich in dieser Länderspielwoche in Dortmund und in Tallinn beobachten lässt. Der aber andererseits bei genauer Betrachtung gar nicht neu ist. Ein Trend namens SC Deutschland.
Betrachtet man Deutschlands Fußball ganzheitlich und macht nicht bei den Nationalmannschaftshelden in kurzen Hosen halt, dann kommt man gar darumherum, Freiburg als Brutstätte der Fußballelite der Nation zu bezeichnen. Freiburg! Ausgerechnet Freiburg!!
Freiburger prägen den deutschen Fußball
Das Freiburgkuriosum in Kurzform: Fußball-Deutschland hat einen Bundestrainer aus Freiburg, einen Co-Trainer aus Freiburg, einen nigelnagelneuen DFB-Präsidenten aus Freiburg und seit dem abwechslungsreichen 2:2 gegen Argentinien am Mittwochabend auch noch die meisten Debütanten der vergangenen sechs Jahre aus Freiburg.
Bei so viel Freiburg lohnt sich allerdings auch ein etwas längerer Blick auf dieses Phänomen. Dass Nationaltrainer Joachim Löw seinen Hauptwohnsitz in der Breisgaumetropole an der Dreisam hat, mag noch Zufall sein. Genauso wie der Fakt, dass mit Marcus Sorg ein früherer SC-Trainer sein wichtigster Assistent ist.
Kein Zufall dürfte es mehr sein, dass ausgerechnet einer der kleinsten Clubs der Bundesliga das größte Reservoir von Nationalmannschaftsneulingen der letzten Jahre bietet. Seit der Bundestrainer 2013 den damaligen Freiburger Max Kruse als ersten SC-Profi seiner Ära nominierte, kamen insgesamt sieben Novizen (Kruse, Matthias Ginter, Oliver Sorg, Christian Günter, Nils Petersen, Luca Waldschmidt und Robin Koch) aus der badischen Landeshauptstadt – und damit mehr als von jedem anderen Bundesligaclub. Von den gut betuchten Vereinen aus Hoffenheim und Leverkusen nominierte Löw seitdem immerhin je sechs Debütanten, vom FCB war es mit Joshua Kimmich nur einer.
Freiburg als Beispiel für gute Personalpolitik
Doch was bedeutet nun diese Freiburgisierung des deutschen Fußballs? Vor allem eines: Geld ist eben auch in den heutigen obszönen Zeiten nicht alles. Die Verantwortlichen des Überraschungsclubs der aktuellen Bundesligasaison, der punktgleich mit Bayern München zum direkten Verfolgerfeld von Spitzenreiter Mönchengladbach zählt, hüllen sich bei konkreten Zahlen zwar ins Schweigen. Aber mit einem geschätzten Mannschaftsetat von etwas mehr als 30 Millionen Euro dürfte der ziemlich erstklassige SC eher auf dem Niveau von Zweitligaclub HSV liegen.
Doch nicht nur Freiburgs Fußballer sind ein Beleg dafür, dass man auch mit kleinen Verträgen Großes erreichen kann. Als einer der Väter des hausgemachten SC-Erfolgs gilt auch Fritz Keller, der nun sein ganzes Geschick als einstimmig gewählter DFB-Präsident unter Beweis stellen muss. Mehr als allen seinen Vorgängern der vergangenen zwei Dekaden traut offenbar ganz Fußball-Deutschland dem gebürtigen Freiburger zu, innerhalb des verstaubten Verbandes kräftig durchzulüften.
Keller hinterlässt ein gesundes Gebilde
Als Keller am vergangenen Wochenende nach dem überraschenden 2:2 gegen Borussia Dortmund mit viel Tränen beim SC verabschiedet wurde, erhielt der Winzer als Abschiedsgeschenkt in der Kabine ausgerechnet eine (sehr gute, sehr teure) Flasche Wein. Noch mehr lässt sich allerdings sehen, was Keller vor seinem Umzug in die DFB-Zentrale in Frankfurt am Main hinterlässt: keine sehr teure, aber eine sehr gute Mannschaft – und einen der wohl am besten und seriösesten geführten Clubs der Bundesliga.
In Freiburg gibt es keinen Dosengiganten, keine Heuschrecke, kein Werk und auch keinen Milliardär aus der Schweiz im Hintergrund. Kopieren kann man das Freiburger Modell zwar nicht. Aber davon lernen ist nicht verboten.