Warum Frank-Walter Steinmeier der Richtige im höchsten Amt ist.
Frank-Walter Steinmeier ist nun exakt in der Mitte seiner Amtszeit – seiner ersten; dass es eine zweite geben wird, ist angesichts der derzeitigen Machtverhältnisse und der Schwäche der SPD unwahrscheinlich, auch wenn Steinmeier seine Aufgabe bisher sehr respektabel erfüllt hat. Steinmeier ist ein hoch engagierter Verteidiger von Demokratie und Rechtsstaat in unsicheren Zeiten. Die Macht von Bundespräsidenten wurde von Anbeginn, von 1949 an, in rhetorischen Dezibel gemessen, in der Gabe also, grandios-furiose Reden zu halten. Die Macht der Nummer eins bestand stets darin, die großen Fragen der Zeit intellektuell ins Schweben zu bringen und dann der Gesellschaft den Weg zu weisen. Wenn man diesen Maßstab nimmt, ist Steinmeier bisher ein guter, aber kein mächtiger Präsident gewesen. Seine Reden sind klug, haben historische Spannweite und Tiefgang; aber ihre Kraft entfalten sie erst beim Lesen, nicht beim Hören.
Wenn man freilich das Schmieden einer Koalition, das Zusammenzwingen einer Regierung als Kennzeichen von Macht nimmt, dann ist Steinmeier ein Power-Präsident. Ohne das drängende und dirigierende Wirken dieses Präsidenten gäbe es keine Große Koalition mit der Kanzlerin Angela Merkel und dem Vizekanzler Olaf Scholz. Es hätte wohl stattdessen im Frühjahr oder Frühsommer 2018 Neuwahlen gegeben – mit unübersehbaren Risiken. Steinmeier, der gewiefte Chefdiplomat, hat das Amt der Staatsnotars neu ausgelegt: Der Jurist weiß, dass ein guter Notar nicht einfach ein braver Beurkunder ist, sondern ein kreativer Gestalter.
Heinrich Lübke, er war von 1959 bis 1969 der zweite Bundespräsident, hat seine verfassungsgemäße Rolle einmal als „Martyrium“ bezeichnet. Lübke, dessen Wirken zumindest in seiner ersten Amtsperiode besser war, als sein belächeltes Angedenken es heute ist, fühlte sich eingezwängt in diesem Präsidentenamt und seinen schmalen Kompetenzen. Er wollte viel direkter, massiver und sichtbarer Einfluss auf die Politik nehmen, als ihm dies das Amt, das Grundgesetz und der damalige Kanzler Konrad Adenauer erlaubten. Die Macht des Wortes genügte dem Präsidenten Lübke nicht – wohl auch deshalb nicht, weil sie ihm nicht zu Gebote stand. Bei seinen Nachfolgern hatte man nicht den Eindruck, dass sie das Amt als Marter empfunden hätten.
Gemartert wurde nur einer, das war Christian Wulff; und diese Marter hatte nichts mit den Kompetenzen des Amtes, sondern mit den Fehlern des Präsidenten und der Selbstgefälligkeit seiner Kritiker zu tun, deren Vorwürfe immer kleiner, kleinlicher und kleinkarierter wurden. Der Freispruch von allen strafrechtlichen Vorwürfen war Wulff Genugtuung, half ihm aber nicht mehr, weil da längst der Nachfolger Joachim Gauck im Amt war, der das Amt lustvoll und mit großer Rede genoss.
Steinmeier spricht vorsichtiger als Gauck: Der hat Rechtsextremisten, Rassisten und militante Ausländerfeinde als „Spinner“ bezeichnet und war dafür von der NPD vor das Bundesverfassungsgericht zitiert worden, erfolglos. Aber man lernte damals, im Jahr 2014: Ein Bundespräsident ist kein politischer Kastrat, er muss sich keinen Knoten in die Zunge machen, er darf, er muss deutlich reden – zumal dann, wenn es um die Verteidigung der Grundwerte der Verfassung geht. Ansonsten wäre der Präsident eine Schaufensterpuppe der Demokratie oder bestenfalls ihr Grüßonkel. Das ist Steinmeier nicht. Er ist einer, der das Gespräch sucht. Und einer, der zuhören kann.