Immer montags gehen wir an dieser Stelle auf Kritik der Leser an der Berichterstattung, auf Wünsche, Fragen und Debatten ein.

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde des Hamburger Abendblatts,

immer montags beschäftigen wir uns an dieser Stelle mit Ihren Wünschen oder Ihrer Kritik. Wir wollen über die großen Leser(brief)-Debatten sprechen und Einblicke in unsere Arbeit geben, sowohl in die Art, wie wir recherchieren, als auch, wie das Abendblatt gemacht wird. Wenn Sie Anregungen haben, her damit, eine E-Mail reicht. Die Adresse: chefredaktion@abendblatt.de­. Heute geht es um Interviews mit Politikern. Abendblatt-Leser Hanno Woitek schreibt: „Warum nur lassen Sie ...“ – und hier scheinen mir alle Journalisten fast aller Verlage und auch Sender gemeint zu sein – „… es zu, dass diese Politiker, vor allem der CDU, SPD und FDP, Fragen in Interviews entweder nur in allgemeinen Plattitüden oder gar nicht beantworten, sondern lediglich ihre Standardformulierungen runterleiern. Könnte man solche Interviews nicht einfach mit dem Schlusssatz ,Liebe Leser/Hörer, wieder werden unsere Fragen nicht beantwortet.‘ abbrechen? Wäre doch mal einen Versuch wert.“

Lieber Herr Woitek, Sie sprechen ein Thema an, das uns beim Hamburger Abendblatt immer wieder beschäftigt. Wie gehen wir mit Interviewpartnern um, die auf Fragen (grundsätzlich) ausweichend oder gar nicht antworten? Olaf Scholz war als Bürgermeister und ist als Bundesfinanzminister so ein Fall, manches Mal hatte ich den Eindruck, er macht sich einen Spaß daraus, Fragen mehr oder weniger zu ignorieren – um zu sagen, was er sagen will. In einem Interview haben wir ihm deshalb ein und dieselbe Frage mehrmals gestellt. Genutzt hat es wenig. Ich glaube: Von solchen Interviews hat keiner was, weder Journalisten noch Leser – und Politiker wahrscheinlich auch nicht.

Ja, es sind vor allem Politiker, die sich mit der konkreten Beantwortung konkreter Fragen schwertun – insbesondere dann, wenn es zur sogenannten Autorisierung eines Interviews kommt. In Deutschland ist es üblich, dass einmal geführte Interviews verschriftlich und dann dem Interviewten zu einer Art Endabnahme vorgelegt werden. Er kann dann zwar an den Fragen nichts mehr ändern, wohl aber an seinen Antworten. In der Regel geht es dabei um Kleinigkeiten, etwa um im Nachhinein korrigierte Zahlen. Manchmal sind die Interviews, die wir zur Abnahme verschickt haben, nach ihrer Rückkehr aber auch nicht wiederzuerkennen. Es soll Politiker geben, die sogar versuchen, Fragen umzuformulieren oder gar neue zu stellen. Beides machen wir natürlich nicht mit – und es ist auch schon vorgekommen, dass wir Interviews, die mit dem geführten Gespräch so gut wie nichts mehr zu tun hatten, nicht veröffentlicht haben.

Manchmal wünschte man sich, dass es bei uns so zugeht wie in anderen Ländern, etwa den USA. Wenn sich dort der Präsident mit Journalisten zum Interview trifft, erwartet er nicht, dass diese ihm hinterher seine Antworten zur Freigabe vorlegen. Er erwartet nur, dass sie sauber das wiedergegeben, was er tatsächlich gesagt hat. Nachteil dieser Methode: Der Befragte kann jederzeit behaupten, falsch zitiert worden zu sein. Das ist in Deutschland nach einer Autorisierung nicht möglich.

Ich persönlich finde immer mehr Gefallen an Interviews in unseren Podcasts: Das Gespräch wird nicht nur aufgezeichnet, sondern auch genauso gesendet. Man kann als Journalist mehrfach nachfragen und muss nicht damit rechnen, dass bestimmte Antworten einer Autorisierung – die gern auch von Pressesprechern oder anderen Beratern vorgenommen wird – zum Opfer fallen.

Kommt hinzu, dass man in dieser Art Interviews auch Zwischentöne ganz genau hören kann. In verschriftlichen Interviews lassen sich diese nur mit Ergänzungen der Redaktion wiedergeben, etwa, wenn hinter dem Namen des Befragten in Klammern so etwas steht: (lacht). Oder: (macht eine lange Pause). Seien wir ehrlich, schön ist das nicht.

Trotzdem sind Interviews eine aus dem Journalismus nicht wegzudenkende Darstellungsform, weil sie eine direkte Bearbeitung verschiedener Themenbereiche ermöglichen. Und weil sowohl der Befragte als auch die Leser sicher sein können, dass alles, was veröffentlicht wird, wirklich so gemeint ist, wie es veröffentlicht wird. Als Informationsquellen sind deshalb Interviews bei uns in Deutschland von geradezu unschätzbarem Wert, sie sind sozusagen das Gegenteil von „Fake News“. Und ja, man könnte natürlich bei bestimmten Interviews und Interviewpartnern eine Formulierung einfügen, wie Hanno Woitek sie vorschlägt. Doch ich glaube, das ist gar nicht nötig: Unsere Leserinnen und Leser merken doch sofort, wenn ein Interviewpartner versucht, Fragen auszuweichen.

Und wenn es einer wirklich einmal übertreiben sollte mit seinen Ausflüchten und Floskeln – dann laden wir ihn einfach nicht noch einmal zu einem Gespräch ein.

Ihr Lars Haider