Der Staat profitiert vom Nullzins, der Sparer zahlt drauf. Langfristig gefährdet diese Umverteilung den Wohlstand.

Wenn Sie wissen wollen, ob Sie langsam alt werden, müssen Sie nur folgende Fragen beantworten: Kennen Sie noch den Weltspartag? Erinnern Sie sich mit Freuden an Zinszahlungen auf dem Sparbuch nach Silvester? Kennen Sie das Wort Sparzinsen überhaupt? Wenn Sie dreimal „ja“ geantwortet haben, müssen Sie aus dem vergangenen Jahrtausend stammen. Denn seit 2010 gibt es eigentlich keine richtigen Zinsen und erst recht keine positiven Realzinsen mehr – im Klartext heißt das: Sparbriefe, Sparbücher oder Tagesgeld mehren heute nicht mehr Ihr Vermögen, sie verzehren es. Denn die Preise steigen ja noch.

Leider haben die Deutschen aus diesem bald ein Jahrzehnt währenden Zinstief kaum etwas gelernt: Das Geldvermögen der Deutschen darbt noch immer als Bargeld und Einlage zinslos unter dem Kopfkissen oder auf Sparbüchern. Von den 6,2 Billionen Euro, die die Bürger auf der hohen Kante haben, sind dort fast 2,5 Billionen geparkt. 1,9 Billionen sind in Versicherungen geflossen, 617 Milliarden in Investmentfonds.

Die üppigen Dividenden kassieren andere

Lediglich 395 Milliarden haben die Deutschen hingegen in Aktien investiert. Das Dumme daran: Während die Sparzinsen um den Nullpunkt schwanken, hat sich allein der Deutsche Aktienindex Dax seit Anfang 2010 mehr als verdoppelt. Man hätte kein Börsenanalyst sein müssen, um hier mitzuverdienen. Doch wer hat profitiert? Die Deutschen als Allerletzte: 55 Prozent der Aktien im Dax liegen längst im Ausland. Und die üppigen Dividenden sind auch nicht weg, sie haben nur andere kassiert: Von den 36,5 Milliarden Euro, die deutsche Konzerne in diesem Jahr ausschütten, bleiben nur rund 12,5 Milliarden Euro auf heimischen Konten. Ausländische Anleger wissen, was sie an deutschen Standardwerten haben. Deutsche leider viel zu selten. Deshalb greift die häufig gehörte Kritik an EZB-Chef Marion Draghi wegen der Niedrigzinsen auch zu kurz.

Als Friedrich Merz, der knapp unterlegene Kandidat für den CDU-Parteivorsitz, im vergangenen Herbst für mehr Aktiensparen plädierte, reagierten viele Beobachter empört, überzogen Merz mit Kritik und sahen den bösen Kapitalismus auf dem Vormarsch. Vermutlich ist für diese Kritiker kollektive Altersarmut die bessere Alternative.

Inflation derzeit meist höher als Rendite

Denn Deutschland verarmt. Es ist schon drollig, dass wir hierzulande die Angebote jedes Autoversicherers oder Stromanbieters noch auf die Nachkommastelle miteinander vergleichen, um ein paar Cent zu sparen. Bei der Altersvorsorge lassen wir das Geld aber gleich geldspeicherweise liegen. Lange Zeit mögen Bundesschatzbriefe, Sparbücher und Lebensversicherungen als defensive Geldanlage berechtigt gewesen sein. Heute sind sie fahrlässig: Unter dem Strich ist die Inflation derzeit meist höher als die Rendite – und damit geht Geld verloren. Negative Realzinsen gab es zwar in den 70er-Jahren schon einmal, zum Dauerzustand aber wurden sie erst in diesem Jahrzehnt.

Für Sparer ist diese Entwicklung fatal. Nach Berechnungen der DZ Bank haben die deutschen Privathaushalte zwischen 2010 und 2018 Zinseinbußen von insgesamt 533,5 Milliarden Euro erlitten. Dagegen kann man die Häuslebauer und Kreditnehmer rechnen, die sich günstiger verschulden konnten: Durch billige Kredite konnten Privathaushalte insgesamt 238 Milliarden Euro einsparen. Unter dem Strich aber bleibt das Geschäft schlecht: Die Netto-Zinseinbuße beträgt 295 Milliarden Euro.

Für den Staat ist das Zinstief ein Segen

Nicht alle verlieren: Für den Staat ist das Zinstief ein Segen. Nach Berechnungen der Bundesbank hat der Staat 368 Milliarden Euro gespart – eine fabulöse Summe. Damit gelang endlich die lange versprochene schwarze Null: Die niedrigen Zinsen und die Steuermehreinnahmen machten das Haushalten fast zu einem Kinderspiel. Allein 2018 beliefen sich die Zinsersparnisse von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen auf 55 Milliarden Euro. Leider gilt die alte Weisheit: Eher legt ein Hund einen Wurstvorrat an, als dass die Politik für schlechte Zeiten Geld zurücklegt. Ein Großteil der Mehreinnahmen ist längt verfrühstückt oder als Wahlgeschenk an die Bürger ausgeschüttet.

Die Rentenerhöhungen der vergangenen Jahre helfen den Deutschen, die jetzt noch auf den Ruhestand sparen, nur wenig weiter. Die jungen und mittelalten Deutschen sind die wahren Gekniffenen dieser Umverteilung. Sie können nur wenig Geld zur Seite legen – und bekommen dafür auch noch keinen Zins.