Hamburg. 45 Grad, der Sand klebt an der Haut, alles tut weh – aber bitte lächeln! Soll man so etwas auf Instagram stellen?

Zweieinhalb Wochen ist es her, dass ich im Urlaub mit einer Freundin eine Wüstensafari in der Nähe von Dubai gemacht habe. Mit einem weißen Jeep sind wir die Sanddünen hoch- und runtergejagt. Ein tolles Erlebnis – abgesehen davon, dass mir nach der Achterbahnfahrt speiübel war. Mitten im Nirgendwo hielt unser pakistanischer Guide plötzlich an. In einer Welt, in der wir Erinnerungen nicht mehr nur im Gedächtnis, sondern vor allem auf inszenierten Handybildern für Instagram festhalten, hatte er einen Fotostopp eingeplant. Natürlich.

Die Sonne brachte den Sand bei 45 Grad zum Glühen. Unser Guide gab uns Anweisungen, wie wir uns nebeneinander in die Dünen hocken und die heißen Körner mit den Händen in die Luft werfen sollten. Wie Marionetten gehorchten wir. Er fotografierte. Nach 15 unerträglichen Minuten (während derer ich mir immer wieder die Frage stellte, wie bescheuert man eigentlich sein kann) stiegen wir zurück ins Auto.

Und in der Tat: Die Fotos sehen spektakulär aus. Über uns fliegt der Sand ähnlich wie beim indischen Holi Festival, bei dem die Menschen mit Farbpulver schmeißen. Ein Influencer würde die Bilder wohl als „instagrammable“ bezeichnen – perfekt dafür geeignet, um sie bei Instagram zu posten. Doch wir entschieden uns bewusst dagegen.

Das Foto hat nichts mit der Realität zu tun

Denn die Wahrheit sah anders aus: So unbekümmert, wie wir auf den Bildern wirken, waren wir nicht. Ich habe mir die Knie verbrannt, der Schweiß lief mir den gesamten Körper herunter, an den nassen Flächen klebte der Wüstensand fest. Mein Gesicht war knallrot. Noch eine Minute länger, und mir wären meine Plastiksandalen weggeschmolzen. Das Foto hat nichts mit der Realität zu tun. Es ist nicht echt. Nicht authentisch. Sondern ein Fake.

Bei „Zeit Online“ bin ich auf ein interessantes Experiment aus den 70er-Jahren gestoßen. Wissenschaftler beschäftigten sich mit folgender Frage: Welche Farbe nimmt ein Chamäleon an, das man in ein Spiegelkabinett setzt? Woran passt es sich an, wenn es keine andere Umgebung hat als sich selbst? Der US-amerikanische Publizist Kevin Kelly probierte es aus. Das Ergebnis: Das Chamäleon wechselte seine Gestalt von Dunkelbraun zu Grün – jene Farbe, die es sonst bei Schreckreaktionen zeigt. Kelly vermutete, das Tier befinde sich „in einem Zustand andauernder Furcht vor seiner eigenen, verstärkten Fremdartigkeit“. Der „Zeit“-Autor brachte es auf den Punkt: Das Tier empfand puren Stress vor sich selbst.

Viele Menschen dürften sich in diesem Experiment wiedererkennen. Wir sind Meister der Verwandlung, können prima in unterschiedliche Rollen schlüpfen und uns wie das Chamäleon an unsere Umgebung anpassen. Besonders einfach machen es uns die sozialen Medien. Dank ihnen können wir darstellen, wen wir wollen. Bei Instagram mimen wir die immer gut gelaunte Abenteurerin, die ständig auf Reisen ist. In Wahrheit aber sitzen wir wie der pessimistische Miesmuffel im Büro und sehnen uns nach einem anderen Leben. Wie erkennen wir noch, was echt ist?

Auf der Suche nach Echtheit gehen die Leute wieder in Krämerläden einkaufen

Gerade weil diese Frage in der heutigen Zeit immer schwerer zu beantworten ist, wünschen wir uns Authentizität zurück. Wir freuen uns über jede ehrliche Gefühlsregung von Fußballern in ansonsten glattgebügelten Fernsehinterviews. Deswegen lieben die Menschen Jürgen Klopp und Christian Streich. Auf der Suche nach Echtheit gehen die Leute wieder in Krämerläden einkaufen. Die Milch vom Biobauern, auf deren Verpackung am besten noch die grasende Kuh abgebildet wird, ist authentischer als die vom Discounter.

Touristen, die in Hamburg ein Fußballstadion besuchen wollen, wird geraten, zum FC St. Pauli ans Millerntor statt zum HSV ins Volksparkstadion zu gehen. Der Grund: Das Erlebnis sei glaubhafter, weil der Club weniger kommerzialisiert sei als der große Nachbar. Wie man sich vermarktet, zum Beispiel auf Reisen in die USA, weiß St. Pauli dennoch.

Was Fotos angeht, kann ich Ihnen inzwischen einen Tipp geben: Setzen Sie sich ins Auto, rasen Sie an einem Blitzer vorbei und schauen Sie sich anschließend Ihr (grimmiges) Gesicht auf dem Bußgeldbescheid an. Wenn Sie nicht damit rechnen, ist es umso authentischer. Das habe ich gerade selbst festgestellt ...