Die Hamburger Derbywoche ist ein Sportereignis voller Faszination – allerdings etwas altmodisch. Sie hat eine dunkle Seite.
Manchmal fehlt mir beim Sportgucken die Distanz. Wann es genau begonnen hat, daran erinnere ich mich nicht. Aber dass grundsätzlich ein gewisser Boris Becker etwas damit zu tun hat, weiß ich genau. Seit ich ihn als Tennisspieler in den Stadien dieser Welt habe leiden, fluchen und sich unbändig freuen sehen, fiebere ich mit, dabei ist die Sportart egal. Natürlich auch bei Pferderennen – obwohl man die mangels TV-Präsenz nur selten sehen kann.
Einmal im Jahr bin ich dienstlich in Horn. Dort, im Osten der Stadt, ist das Refugium der galoppierenden Vollblüter, ihre Rennbahn, Geläuf genannt. Ab diesem Wochenende veranstaltet der Hamburger Renn-Club die traditionelle Derbywoche. Höhepunkt ist das Deutsche Derby, in diesem Jahr zum 150. Mal ausgetragen. Ein Jubiläum also, eine echte Hamburgensie.
Was das Derby in Horn mit dem Boxen verbindet
Neben der Anlage liegt der Marienthaler Tennis- und Hockeyclub, dessen Plätze nur durch Hecken und Wälle abgetrennt sind. Jahrelang habe ich das Donnern der Hufe während Punktspielen oder beim Training gehört. Manchmal, in den Pausen, sind wir schnell durch die Strauchlücken geschlüpft, um einen Blick auf die elegant dahinfliegenden Pferde und ihre Reiter in der Hocke zu erhaschen. Sieger habe ich zwar selten gesehen, aber per Lautsprecherdurchsage gehört.
Man muss sich das vorstellen wie beim Boxen, wenn der Ringsprecher mit Gänsehaut verursachender Stimme die Kämpfer vorstellt und das Publikum auf die Zwei-Mann-Schlacht einstimmt. Biegen die Pferde in Horn auf die Zielgerade ein, überschlägt sich die Stimme des Kommentators, alles drängelt sich nach vorn an die Absperrung. Dann die Entladung. Frust oder Freude. Wieder nichts gewonnen. Oder eben doch.
Die dunkle Seite des Galoppsports
Davor und danach: Jede Menge schnaubende Rösser, manchmal schaumdampfend vor Anstrengung, manchmal die Hufe auskeilend aus Verdruss. Oben drauf sitzen bunt gekleidete Jockeys. Ein internationaler Zirkus, zum Anfassen nah. Dazwischen Herren im Anzug, Damen im Cocktailkleid und mit Hut, Pferdebesitzer, Züchter, Trainer, Mäzene, Sponsoren, eine ganz eigene Welt im bunten Publikum. Wer sich als Zuschauer auf dieses Kaleidoskop einlässt, empfindet sinnliches Vergnügen. Für Großstädter ist es zudem die Gelegenheit, den 500-Kilo-Kolossen näherzukommen, deren weniger sportliche Artgenossen man sonst nur auf Weiden neben der Autobahn sieht.
Doch es gibt auch eine dunkle Seite des Sports. Vielen Rennclubs in Deutschland geht es schlecht. Hamburg ist keine Ausnahme. Die Horner Bahn ist zwar international konkurrenzfähig, und der Bahnmeister wird gern ausgeliehen, um anderswo ähnlich gute Bodenverhältnisse zu schaffen. Aber drumherum sieht es erbarmungswürdig abgenutzt aus. Die Jahrhunderte haben ihre Spuren hinterlassen. Sie zu beseitigen oder nur zu übertünchen, ist finanziell ein Fass ohne Boden. Dass die Derbywoche dennoch Jahr für Jahr stattfinden kann, ist vor allem ein Verdienst von Mäzen und Kaffee-Unternehmer Albert Darboven (83).
Auch Hamburg wird nicht unendlich zubuttern
Doch Mäzenatentum hat irgendwann ein Ende. Auch die Stadt wird nicht unendlich zubuttern. Und ob die Doppel-Rennbahn für Galopper und Traber, diese Wunschversion seit mehr als einem Jahrzehnt, irgendwann tatsächlich Wirklichkeit wird, steht im Kaffeesatz. Anderswo ist man weiter. In Hoppegarten, nahe Berlin, wurde in Fachpersonal investiert. Geschäftsführer Michael Wrulich (36) hat schon Fußball-Bundesligist Mainz 05 sowie die Füchse Berlin aus der Handball-Bundesliga vermarktet.
Seither sind Familienerlebnis und Digitalisierung angesagt. Wetthäuschen mit Menschen darin, die per Hand ausgefüllte Wettscheine entgegennehmen, wirken in einer Zeit, in der sich fast alles per App regeln lässt, mindestens uncool. Will man das Publikum verjüngen, andere Zielgruppen erschließen, neue Wettanreize setzen und mehr Zuschauer locken, muss anders gedacht und gehandelt werden. Livecams in Ställen, digitales Daten-Management, eine eigene App für jede Rennbahn wären moderne Varianten. Und ein verjüngter Vorstand. Aber den hat Hamburg ja schon.