Spätestens die Europawahl sollte den Parteien gezeigt haben: Sie sind dabei, eine ganze Generation zu verlieren.

Von klein auf haben mir meine Eltern und Lehrer in der Schule eingebläut, wählen zu gehen. Das Wahlrecht sei ein Privileg, ein hohes Gut unserer Gesellschaft – und deswegen unsere Pflicht. Seit meinem 18. Lebensjahr habe ich keine Wahl verpasst. Jedes Mal setze ich pflichtbewusst mein Kreuz auf dem Stimmzettel. Doch ganz ehrlich: Nicht immer habe ich ein gutes Gefühl dabei.

Zu selten sprechen mich Kandidaten wirklich an. Zwar registriere ich ihre grinsenden Gesichter neben abgedroschenen Floskeln auf Plakaten am Straßenrand. Doch was die Politiker für uns junge Menschen bewegen wollen, war mir noch nie so wirklich klar. Vielleicht weil sie es selbst nicht wissen.

Während ich also Jahr für Jahr die Wahlkabine aufsuche und einer Partei mein Vertrauen schenke, schaue ich gleichzeitig als junge Bürgerin dabei zu, wie an den Schulen Leistungsklassen abgeschafft und Profiloberstufen eingeführt werden. Plötzlich kommt G8, dann wieder G9. Zu allem Überfluss gibt es in jedem Bundesland ein anderes Schulsystem. Immerhin: Den Jugendlichen wird ein Platz in der ersten Reihe spendiert – denn sie dürfen die ach so tollen Ideen als Versuchskaninchen ausbaden.

Politik droht, ganze Generation zu verlieren

Viele junge Menschen leben in Wohnungen, die sie sich als Berufseinsteiger eigentlich nicht leisten können. Weil sie mit unbezahlten Praktika und befristeten Arbeitsverträgen abgespeist werden. Sie haben kaum eine Chance, ihre Zukunft mit Haus, Kind und Partner zu planen. Die Liste an Themen, die uns bewegen, ist lang. Aber wer hört uns zu? Wer hilft uns aus unserem Dilemma heraus?

Lange Zeit waren junge Wähler für die große Politik „nice to have“, aber nicht interessant. Bis jetzt. Nach der Europawahl macht es zum ersten Mal den Anschein, als sei den regierenden Parteien aufgefallen, dass sie drauf und dran sind, eine ganze Generation zu verlieren. „Wir müssen junge Leute wieder erreichen“, lautet plötzlich der Tenor bei Union und SPD. Ach was!

Natürlich haben sie die Abkehr der Jugend erst bemerkt, nachdem sie zig Wähler an die Grünen verloren haben. Zu sehr waren sie damit beschäftigt, ihr übliches Programm abzuspulen. Und haben dabei schlicht vergessen, was die Jüngsten des Landes bewegt.

Fridays for Future hat jetzt schon viel erreicht

Das Engagement der Aktivisten der „Fridays for Future“-Demonstrationen wurde von vielen verspottet und als Schulschwänzen abgestempelt. Nach der Europawahl ist nun klar: Innerhalb nur weniger Monate haben die Jugendlichen es geschafft, das Thema Klimaschutz auf die Agenda zu setzen. Dabei haben sie auch viele ältere Generationen inspiriert, sich für ihre Ansichten zu öffnen.

Am vergangenen Donnerstagabend habe ich die ZDF-Talkshow von Maybrit Illner unter dem Motto „ Das GroKo-Desaster“ verfolgt. Neben der CDU-Politikerin Diana Kinnert (28) saßen mit der ehemaligen Juso-Vorsitzenden Johanna Uekermann (31), der „Fridays for Future“-Organisatorin Carla Reemtsma (21) und dem YouTuber Florian Diedrich (31) gleich vier junge Menschen in der Runde. Und wissen Sie was: Ich war begeistert. Am liebsten wäre ich von meinem Sofa aufgesprungen und hätte gejubelt. Denn endlich wird der Jugend Gehör geschenkt. Zumindest in der Öffentlichkeit. In ihren eigenen Parteien war ihre Expertise bisher selten gefragt.

Jung und Alt müssen sich endlich zuhören

„Wir gehen nicht mehr in Parteien, weil wir gar nicht das Gefühl haben, dass unsere Themen dort angegangen werden“, sagte etwa Carla Reemtsma. Die jungen Politiker schreien danach, gehört zu werden. Und wie hätte der Nachwuchs, der mit Social Media aufgewachsen ist (!), seine Kompetenzen besser unter Beweis stellen können als mit einer coolen Gegenreaktion auf das Rezo-Video? Stattdessen spricht CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer von einer Regulierung im Netz und vergrault damit auch den letzten jungen Wähler.

Bitte nehmt uns endlich ernst – nicht nur Politikern möchte man dies entgegenschreien. Erst am Wochenende wurden eine junge Kollegin und ich, mit Block und Stift in der Hand und Kamera um den Hals, beim Norderstedter Stadtlauf gefragt, ob wir für die Schülerzeitung schreiben würden. Höhö.

Ich bin überzeugt: Jung und Alt können wunderbar harmonieren und voneinander lernen – sie müssen sich nur gegenseitig zuhören.