Die große Lust auf das Lesen gibt es nicht einfach so. Die Verlage müssen etwas dafür tun

Lange Zeit galt, dass nichts über das Lesen geht. Weil Lesen klüger macht, Welten erschließt, unterhält. Weil sich der Lesende sammelt, weil er Zerstreuung findet.

Die Wahrheit ist aber auch: Den persönlichen Gewinn durch Bücher suchten nie alle. Das Fernsehen, der Gigant der Berieselung, ist immer schon ein mächtiger Konkurrent gewesen. Aber ein treues Publikum hatte die Literatur eben doch. Das Buch war ein Selbstläufer: als Kulturgut, als Werkzeug der Bildung, als Wenn-einem-nichts-anderes-einfällt-Lösung auf dem Gabentisch.

Thomas Andre ist Redakteur im Ressort Kultur des Abendblatts.
Thomas Andre ist Redakteur im Ressort Kultur des Abendblatts. © Michael Rauhe

Die Zeiten haben sich geändert, auch wenn der Börsenverein des Deutschen Buchhandels nun anlässlich der Leipziger Buchmesse positive Zahlen präsentieren kann. Zuletzt haben 300.000 Menschen mehr ein Buch gekauft als im vorherigen Vergleichszeitraum. Dem stehen die sechs Millionen verlorenen Leser und Buchkäufer gegenüber, die der Börsenverein für den Zeitraum zwischen 2012 und 2016 errechnete. Die Zahl, 2017 kommuniziert, schockte die Branche – und doch durften nur diejenigen wirklich überrascht gewesen sein, die über Jahre hinweg Augen und Ohren verschlossen hatten. Zu den medialen Verführungen sind längst Smartphone, Facebook und Co. dazugekommen. Und: Netflix.

Wenn man sich noch einmal das eingangs erwähnte bildungsbeflissene und bibliophile Publikum vor Augen führt, kann man nicht zuletzt an einem selbst die Verführbarkeit durch jederzeit abrufbare, qualitativ hochwertige TV-Serien begutachten.

Dass das goldene Zeitalter der Serien eigentlich schon wieder vorbei ist, ändert nichts daran, dass Fernsehen in der jüngeren Vergangenheit besser und intellektuell fordernder geworden ist. Längst reden auch Akademiker auf Partys viel lieber über „Babylon Berlin“ als über den Gewinner des aktuellen Buchpreises.

Wer heute als Verleger, Lektor oder Literaturagent seinen Dienst antritt, der ist gut beraten, sich zu überlegen, wie er Bücher wieder zu begehrenswerten Objekten machen kann. Die Chancen für eine Wiederbesinnung auf das Lesen stehen nicht schlecht. Das Klickgewitter, in das wir uns täglich begeben, das digitale Dauerfeuer und die potenzierte Bildschirmzeit sorgen bei manchen längst für ein Gefühl des Überdrusses. Sie sind diejenigen, die nicht für das Buch verloren sind. Aber auch sie müssen in der verschärften Medienkonkurrenz neu für das Lesen begeistert werden – und sei es über die üblichen digitalen Kanäle, die die Verlage freilich längst bespielen.

Ein Buch kann nicht nur Selbstreinigungskräfte freisetzen. Lesekompetenz ist eine Schlüsselqualifikation. Wer komplexe Texte versteht, versteht auch komplexe Themen. Was das angeht, machen sich Bildungsexperten derzeit nicht zu Unrecht Sorgen. Von der Krise des Buchmarkts zu reden bedeutet am Ende auch, von dem zu reden, was in den Klassenzimmern geschieht. 2016 ergab eine Untersuchung zur Lesekompetenz von Grundschülern, dass 20 Prozent von ihnen nur unzureichend längere Texte verstehen. Wie soll es anders sein? Für Heranwachsende sind die schönen glänzenden Displays viel attraktiver als Bücher, die in den kleiner werdenden Regalen ihrer Eltern stehen. Und selbst, wenn sie ein E-Book zur Verfügung haben: Die nie wirklich ausgebildete Aufmerksamkeitsspanne verhindert nicht selten ein Eintauchen in lange Texte.

In den ersten beiden Monaten 2019 ist, vermeldet der Börsenverein dieser Tage auch noch, ein Umsatzplus von 4,5 Prozent erwirtschaftet worden. Ein Hoffnungsschimmer. Wer das Buch langfristig retten will, darf sich davon aber nie blenden lassen. Es kommt auf die jungen Generationen an.