Die schwarz-rote Koalition steckt nach einem Jahr noch immer in der Selbstfindung. Dabei sind die Herausforderungen gewaltig.

Als Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz nach der Kennenlernklausur im April 2018 in Meseberg über die Atmosphäre in der mühsam zustande gekommenen Koalition Auskunft geben sollten, antworteten beide etwas schmallippig. Sie nehme von der ersten Kabinettsklausur mit, dass der Wille zur Einigung da sei, sagte Merkel. Scholz pflichtete Merkel bei: „Teambuilding gelungen. Der Rest kommt jetzt.“

Ein Jahr danach kann man den Rest nun bewerten und stellt fest: Auf Arbeitsebene gelingt Union und SPD einiges. Gerade in der jüngsten Zeit wurde ein Kompromiss beim Digitalpakt Schule gefunden, der Streit um den Paragrafen 219 a wurde beigelegt, das Gute-Kita-Gesetz beschlossen, das Baukindergeld eingeführt, die Parität in der Krankenversicherung wiederhergestellt, es gab Grundeinigungen im Gesundheitswesen.

Streit wie bei den Kesselflickern

Doch der ganz große Wurf – und vor allem das Bild der einheitlichen Regierung – ist bisher nicht gelungen. Dafür waren die Parteien im zurückliegenden Jahr zu sehr mit sich selbst beschäftigt. CDU, CSU und SPD tauschten nicht nur ihre Chefs aus, sondern stritten untereinander wie die Kesselflicker, vor allem die Union. Die Verantwortlichen entließen mit wenig Geschick, aber breiter Öffentlichkeitswirkung einen Verfassungsschutzpräsidenten, beantworteten schlechte Wahlergebnisse in den Ländern mit neuen internen Debatten.

So gab es zum Jahreswechsel ein munteres Beruferaten, bei der Union über die Einbindung von Friedrich Merz. Bei der SPD wähnte man Niedersachsens Ministerpräsidenten Stephan Weil schon in der Hauptstadt, zumindest aber Sigmar Gabriel wieder auf dem Sprung an die Spitze. In den letzten Wochen suchte dann passenderweise SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil genau dieses in der Profilierung und schlug nicht abgestimmt ein Konzept zur Grundrente vor.

Löst der Brexit einen Abwärtssog aus?

Und zum einjährigen Geburtstag diskutiert Berlin vor allem darüber, ob und wie lange die GroKo halten wird. Bis zur Europawahl oder doch bis zu den Wahlen im Osten? Beendet die SPD die Koalition im Bund, wenn sie die Macht im kleinsten Bundesland Bremen abgeben muss? Möchte Merkel die EU-Ratspräsidentschaft von Deutschland noch mitnehmen?

Dabei geht es in diesen Wochen wirklich um etwas, das ist auch den Spitzen der Koalition sehr bewusst. In kleinen Kreisen wird ein düsteres Bild der außenpolitischen Lage gezeichnet. Fans der „Star Wars“-Filme würden plastisch von nahenden Entscheidungen für die helle oder die dunkle Seite der Macht sprechen. Ein wie auch immer gearteter Brexit steht bevor – unklar, wie weit er die EU in einen wirtschaftlichen Abwärtssog mitreißt. Bei der Europawahl treten Populisten an, die den Kontinent in eine andere Richtung führen, den Einfluss aus Brüssel schmälern wollen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat in dieser Situation Vorschläge gemacht. Zugegeben, er steht massiv unter Druck von rechts und links in seinem Land und entwirft Ideen für mehr Europa, die auch mehr Einfluss und Geld für Frankreich beinhalten. Man kann den Plänen des Franzosen einiges entgegensetzen, sie diskutieren, eigene Vorschläge machen. Aber was macht die Regierung? CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer antwortet auf eigene Verantwortung, die SPD kritisiert reflexartig, die Kanzlerin – die eigentlich auf einen Präsidenten antworten müsste – lässt ausrichten, dass sie den Text der Parteifreundin unterstütze.

Das Vorgehen zeugt von keiner gemeinsamen Idee und gibt auch im Ausland kein gutes Bild ab. Die Koalition sollte ungeachtet von Wahlkämpfen nach außen mit einer Stimme sprechen. Der dauernde Flirt mit dem Bruch der Regierung ist gefährlich.