Vor dem Hamburger Derby träumen viele Fans vom Aufstieg – dabei finge dann die Arbeit erst an. Aber es gibt ein Vorbild.
Man kann den Spieltagsplanern der Deutschen Fußball Liga nur dankbar sein, das Derby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV nicht Richtung Saisonende angesetzt und die Brisanz dieses Duells damit noch zusätzlich angeheizt zu haben – besonders in Hinblick auf drohende Fan-Ausschreitungen.
Verlockend süß klingt die Konstellation aus Sicht der Braun-Weißen dennoch. Mit einem Sieg könnten sie den Bundesliga-Dino a. D. in eine echte sportliche Krise stürzen und den Grundstock für den Nicht-Aufstieg legen. Umgekehrt geht der HSV wohl erstmals nicht als klarer Favorit in ein Derby. Zuletzt verloren die Rothosen 1960 ein Pflichtspiel am Millerntor (1:4).
Hamburger Derby: Es geht um mehr als 90 Minuten
Der HSV kann also nicht nur „nicht verlieren“. Vielmehr würde ein Erfolg den Stadtnachbarn in der Tabelle auf sieben Punkte distanzieren und dem zuletzt verunsicherten Team neue Power vor der Schlussphase der Saison verleihen.
Sie merken es schon: Es geht um viel mehr als diese 90 Minuten. Jeder Fan wird es bestätigen können: Gespräche über Fußball drehen sich a) mit Vorliebe um zukünftige Erwartungen und mögliche Konsequenzen aus einem Resultat und b) mit besonderer Vorliebe um zu befürchtende negative Konstellationen – auch nach einem auf den ersten Blick positiven Ereignis. In diesem Fall dem durchaus machbaren Bundesliga-Aufstieg des HSV und St. Pauli.
HSV: Diese Verträge laufen aus
Die Argumentationskette der (üppig besetzten) Pessimismus-Fraktionen beider Clubs geht ungefähr so: Der HSV stünde nach einem Wiederaufstieg ohne ein wettbewerbsfähiges Team da – und hätte nicht die Finanzkraft für Verstärkungen. Die Verträge von Lasogga, Holtby laufen aus, Mangala und Hwang sind nur ausgeliehen. Im Abstiegsstrudel wäre es unmöglich, die Mannschaft weiterzuentwickeln, Panikkäufe, um den erneuten Gang ins Unterhaus zu verhindern, könnten die Finanzsorgen verstärken.
Ähnlich bei St. Pauli: Angesichts des deutlich geringeren Etats zum Beispiel gegenüber dem HSV wäre ein Klassenerhalt ein so gut wie aussichtsloses Unterfangen, heißt es. Warum eine Saison hauptsächlich Prügel kassieren und womöglich den soliden finanziellen Kurs verlassen? Dann lieber Zweite Liga und regelmäßig auf dem Kiez feiern.
Transfermarkt.de: Das sind HSV und St. Pauli wert
Die aktuellen Marktwerte der beiden Mannschaften bei transfermarkt.de (HSV 52 Millionen Euro, St. Pauli 20 Millionen Euro) nähren die Skepsis, zumal man lange überlegen muss, bis man beim HSV auf diese Summe kommt. Also einstimmen in die Kassandrarufe?
Dann doch lieber ignorieren. Es mangelt nicht an positiven Beispielen, wie Clubs sich aus finanziellen und sportlichen Zwangslagen in Rekordgeschwindigkeit befreit haben. Als Fredi Bobic nach dem Ausscheiden von Frankfurts Vorstandschef Heribert Bruchhagen 2016 bei der Eintracht als Sportchef einstieg, lag der Marktwert der Mannschaft bei 66 Millionen Euro, die Hessen hatten sich gerade über die Relegation gerettet. Keine drei Jahre später wird das Team auf 261 Millionen Euro taxiert – dank kluger Leihgeschäfte in der Anfangsphase und Top-Transfers, allen voran Jovic, Haller und Rebic.
Diese Bundesliga-Mannschaft ist ein Vorbild
Dass sich Low-Budet-Strategien in der Bundesliga durchaus rechnen können, beweist auch Fortuna Düsseldorf, die Überraschungsmannschaft dieser Saison. Oder hätten Sie gedacht, dass mit einem Trainer im Rentenalter und in Hamburg schon gesichteten Akteuren wie Hennings, Ducksch oder Drobny so ein Husarenritt möglich sein würde?
Was uns diese Beispiele lehren? Ja, es ist schwer! Aber ja, es ist möglich, sich zu behaupten und im Falle des HSV sogar schnell finanziell zu gesunden. Auf den Sportchefs Ralf Becker und Uwe Stöver lastet dabei die größte Verantwortung. Sie müssen im Aufstiegsfall deutlich mehr richtige als falsche Entscheidungen treffen, indem sie die Mannschaften gezielt verstärken, ohne den Teamspirit zu gefährden – St. Pauli dient dabei selbst als abschreckendes Beispiel mit der Saison 2001/02. Aber auch das gehört zu einer realistischen Planung: Nicht nur St. Pauli, auch der HSV muss angesichts der Konkurrenz damit rechnen, in Zukunft auch mal wieder in der Zweiten Liga zu spielen.