Auch wenn es schwerfällt, Freunden abzusagen: Manchmal braucht man einfach eine Auszeit vom Freizeitstress.
„Hey, was hast du Freitagabend vor?“ – „Nichts.“ – „Wollen wir in der Schanze was trinken gehen?“ – „Nein, danke. Ich habe dieses Wochenende keine Lust, mich mit anderen Menschen zu unterhalten. Viel lieber möchte ich im Pyjama allein zu Hause auf der Couch rumgammeln, ein Ben-&-Jerry’s-Eis löffeln und eine neue Netflix-Serie anfangen.“
Im Ernst: Haben Sie einem Freund schon einmal so ehrlich eine Verabredung abgesagt? Ich nicht. Mir fällt es grundsätzlich schwer, Nein zu sagen. Bereits vereinbarte Treffen mit Freunden zu canceln würde ich nicht wagen – es sei denn, meine Wohnung fackelt gerade ab, ich liege mit einer seltenen Tropenkrankheit in Quarantäne, oder ein Meteorit hat mich auf der Straße getroffen.
Ein ungeschriebenes Gesetz lautet: Eine Verabredung sagt man nicht ohne triftigen Grund ab. Todesfälle in der Familie, Termine bei der Arbeit und Krankheiten zählen zu den allgemein akzeptierten Entschuldigungen. Akute Unlust fällt hingegen nicht in diese Kategorie.
Junge Menschen haben nie Zeit
Dabei merke ich in meinem Freundeskreis immer häufiger, wie ausgelaugt viele von ihrem Alltag sind. Sie hätten gern mehr Zeit für sich selbst. Doch aus Angst, andere Menschen zu enttäuschen, gehen sie immer wieder neue Verabredungen ein. So wie ich.
Ein typischer Dialog, den ich gerade mit einer Freundin aus Essen geführt habe: „Wollen wir uns mal wieder für ein Wochenende besuchen?“ – „Ja, gern.“ – „Wann kannst du?“ – Ich blättere meinen Terminkalender durch und stelle fest: „In drei Monaten.“
Ein Autor von „Neon“ hat eine ähnliche Situation treffend beschrieben: Ich klinge wie die Sprechstundenhilfe eines Orthopäden, die ihre Patienten vertröstet. Nein, natürlich haben wir einen Termin für Sie. Keine Sorge. Wie würde es Ende August bei Ihnen passen?
Freizeitstress ist ein Generationen-Problem
Meine vollgepackte Woche fühlt sich an wie mein Bauch nach einem üppigen Abendessen: Wenn ich den Knopf an der Jeanshose nicht bald öffne, platzt sie auseinander. Nicht selten hetze ich von einem Ort zum nächsten. Daran hat nicht mein Job Schuld. Sondern ich. Denn: Ich bin die Meisterin im Freizeitstress. Wenn ich zwischen 17.30 und 19.45 Uhr eine Lücke im Kalender entdecke, quetsche ich garantiert ein Cocktailtrinken mit einem Kumpel dazwischen. Und trotzdem höre ich häufig den Satz: „Eine Audienz beim Papst ist einfacher zu bekommen als bei dir.“
Meine Vermutung: Freizeitstress ist ein Generationen-Problem. Gerade als junger Mensch willst du keine lustige Nacht in der Schanze verpassen, über die deine Freunde noch Jahre später lachen werden. Nur du kannst nicht mitreden, weil du lieber im Pyjama Ben-&-Jerry’s in dich hineingeschaufelt hast. Pech gehabt. Meine Eltern hingegen haben kein schlechtes Gewissen, Freunden mit der Begründung „Kein Bock“ abzusagen. Und das ist auch gut so.
Laut einer schlauen Studie springen wir von einer Freizeitaktivität zur nächsten. Pro Woche üben wir durchschnittlich 23 aus – vor 20 Jahren waren es noch zwölf. Unglaublich. Allerdings gelten „E-Mails lesen“, „Social Media nutzen“ und „Seinen Gedanken nachgehen“ auch als Freizeitbeschäftigung. Ansonsten hätte ich diesen Menschen gern kennengelernt, der es tatsächlich schafft, mehr als 20 Aktivitäten in sieben Tagen unter einen Hut zu bekommen.
Mit vielen Menschen lebt man glücklicher
Meiner Meinung nach ist das nämlich quasi unmöglich. Wir haben enge Freunde, die wir regelmäßig sehen wollen. Ein paar gute Bekannte, mit denen wir gern mal einen Kaffee trinken gehen. Hinzu kommen womöglich ein Partner, die Familie und mindestens ein Hobby. Die Wohnung will geputzt, die Wäsche gewaschen und der Kühlschrank gefüllt werden. Und was will ich? Manchmal einfach nur meine Ruhe.
Ich bin überzeugt: Wer sich mit vielen lieben Menschen umgibt, lebt glücklicher. Freunde bringen Licht in dein Leben, wenn du selbst im Dunkeln tappst. Aber ab und zu brauchst du einfach mal eine Auszeit. Nur für dich. Und vielleicht für Ben. Und Jerry.
Und das sollte kein Problem sein. Echte Freunde verstehen, dass es manchmal nichts Besseres gibt als einen Gammelabend im Pyjama. Im Zweifel geht es ihnen genauso. Wir sollten uns öfter trauen, Verabredungen ehrlich abzusagen. Nämlich so: „Nein, danke.“