Warum Halbwahrheiten offenbar zum Fußballgeschäft gehören – und wie der Fan damit umgehen sollte.

Vor ziemlich genau sechs Monaten habe ich an genau dieser Stelle einen Text geschrieben, für den ich ziemlich unschöne Leserbriefe erhalten habe. „Die Zeit der Uwe Seelers ist vorbei“, lautete die Überschrift der Kolumne, die sich mit dem Vertragspoker um HSV-Talent Fiete Arp und einem möglichen Wechsel zum FC Bayern München beschäftigte. Meine These damals: Im Fußballgeschäft ist kein Platz mehr für Romantik und unbedingte Vereinstreue. Auch nicht im Fall vom HSV und Fiete Arp, der seinen Herzensclub früher oder später verlassen werde.

Nun erschien diese Kolumne ausgerechnet an dem Tag, als Arp seinen Vertrag in Hamburg überraschenderweise verlängerte, anstatt beim FC Bayern München einen langfristigen Millionenvertrag zu unterschreiben. „Mein Weg ist hier noch nicht vorbei“, gefühls­duselte Arp im clubeigenen TV-Kanal, während Sportvorstand Ralf Becker im selben Medium den vermeintlichen „Coup“ mit den Worten feierte: „Für uns alle ist das ein besonderer Tag.“ Schwarz-weiß-blaue Herzen waren in diesen Stunden der wohl meistbenutzte Emoji auf jeglichen HSV-Fan-Kanälen. Und auch das Abendblatt schrieb: ­„Arp­rakadabra: Für den HSV verzichtet Arp auf Millionen.“

Stich ins Herz statt Uwe-Seeler-Romantik

Ziemlich genau sechs Monate später ist nun klar: Die Herz-Schmerz-Verlängerung des Hamburger Herzbuben wurde von den Verantwortlichen ziemlich sauber inszeniert. Für viele Anhänger, die nach diesem Tag doch wieder an die Rückkehr der Uwe-Seeler-Romantik geglaubt hatten, ist die Nachricht der verheimlichten Unterschrift beim FC Bayern ein neuer Stich ins Fan-Herz.

Dabei sollte spätestens seit den Enthüllungen der Football Leaks jedem Fußballfan klar sein, dass die Praxis des Lügens und Betrügens offenbar zum Fußballgeschäft gehört. Nun haben weder der HSV noch Arp gelogen, das sollte man fairerweise erwähnen. Beide haben in dieser Geschichte aber auch nicht die ganze Wahrheit erzählt und die Fans in dem Glauben gelassen, dem HSV-Liebling gehe es einzig um seinen Verein. Damit haben die Verantwortlichen im Volkspark eine Fallhöhe aufgebaut, die für Arp früher oder später negative Folgen haben würde.

Manche Fans stempeln Arp als Verräter ab

Nun gehören zu diesem komplizierten Konstrukt gleich zwei Vereine mit verschiedenen Interessen, ein Berater, das familiäre Umfeld und ein Spieler, der eigentlich nur Fußball spielen will, und das am liebsten für den HSV. Trotzdem wäre auch in diesem Interessengeflecht ein anderer Weg möglich gewesen. Warum haben die Bayern und der HSV nicht einfach kommuniziert, dass Arp das unmoralische Angebot nicht ablehnen könne und trotzdem seinem Herzenswunsch nachgehen möchte, den HSV zurück in die Bundesliga zu führen? Vermutlich hätte jeder Fan dieses Vorgehen verstanden.

Jetzt wird Arp von manch Anhängern bereits als Verräter abgestempelt, wofür der 19-Jährige selbst am wenigsten kann. Eine kleine Auswahl der ersten Fan-Reaktionen? „Größte Verarschung der Vereinsgeschichte.“ „Der kann die Koffer packen.“ „Und tschüs.“

Das Küssen der Raute bedeutet gar nichts

Viele Fans, die sich in den vergangenen Jahren von ihren Vereinen abgewendet haben, dürften sich beim Lesen der Arp-Geschichte bestätigt fühlen, dass im Millionengeschäft Fußball das Geld regiert – und in den meisten Fällen für Romantik kein Platz mehr ist. Was nicht heißen soll, dass man beim HSV keine Gefühle mehr erleben kann. Im Gegenteil. Kaum ein Club hat seine Fans in den vergangenen Jahren emotional so bewegt wie der HSV. Dass das Küssen der Raute kein Versprechen für ewige Liebe ist, sollte aber auch dem größten Fußball-Romantiker klar sein.

Und der HSV? Der sollte sich klar dazu bekennen, für junge Spieler wieder ein Sprungbrett auf dem Weg zu einer großen Karriere zu sein. Er darf einfach nicht mehr die letzte, gut bezahlte Station im Spätherbst der Laufbahn sein. Auch Spieler wie Douglas Santos, Rick van Drongelen oder Berkay Özcan werden genau wie Fiete Arp früher oder später zu einem anderen Club wechseln. Die Fans werden das schon akzeptieren. Solange der Vorgang ehrlich kommuniziert wird. Vom Spieler, aber auch von den Vereinen.

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