Die Koalitionspartner gehen im Vorwahlkampf auf Distanz – das ist für beide Parteien riskant.
Es gehört zu den Merkwürdigkeiten gut ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl 2020, dass ausgerechnet die beiden aktuellen Koalitionspartner im Hamburger Rathaus, SPD und Grüne, den Vorwahlkampf schon jetzt eröffnen – und zwar mit Attacken auf den jeweils anderen. Erst unterstellte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) den Grünen, sie wollten das Weltklima retten, indem sie die Verwendung von Jutebeuteln statt Plastiktüten propagierten. Die SPD setze als Fortschrittspartei dagegen auf technische Innovation.
Bei den Grünen als Gralshütern des Umweltschutzes kam das nicht gut an, und nun gibt es in dem Strategiepapier zum Klimawandel, das das Grünen-Trio Katharina Fegebank, Jens Kerstan und Anjes Tjarks jetzt vorgelegt hat, kaum verhüllt die Retourkutsche. Motto: Andere Parteien – die SPD ist nicht genannt, aber gemeint – würden nur rhetorisch dem Thema Klimaschutz größere Aufmerksamkeit schenken, in Wahrheit aber auf technische Wunder und langwierige europäische Lösungen warten. Und schon jetzt kündigen die Grünen selbstbewusst an, bei jeder Verhandlung über eine Regierungsbildung nach der Bürgerschaftswahl das jetzt formulierte Ziel, Hamburg bis 2050 zur klimaneutralen Stadt zu machen, ins Zentrum der Gespräche zu rücken – eine Festlegung, die die SPD jedenfalls bislang vermieden hat.
Was steckt hinter diesen offensichtlichen Animositäten? Zunächst einmal ist festzustellen, dass das seit 2015 existierende rot-grüne Bündnis belastbar ist. SPD und Grüne haben in diesen vier Jahren im politischen Tagesgeschäft im Wesentlichen an einem Strang gezogen. Das gilt auch und gerade für die dicken Bretter, die gebohrt werden mussten: für den Verkauf der HSH Nordbank und den Rückkauf des Fernwärmenetzes. Dass sich SPD und Grüne gerade bei diesem Eckpfeiler der Energiepolitik zusammenraufen würden, war lange Zeit nicht ausgemacht.
Schließlich haben sich die Grünen in der Phase des Machtvakuums und der Unsicherheit bei der SPD nach dem Wechsel von Olaf Scholz nach Berlin loyal zurückgehalten. Es geht also eigentlich nicht darum, dass sich die beiden Koalitionspartner auseinanderentwickelt hätten oder vor unüberwindbaren Gegensätzen stünden.
Es geht, so einfach ist das manchmal, um Macht, wenigstens um die Vormacht im politischen Diskurs. Die aktuelle Stimmungslage bei Sozialdemokraten und Grünen könnte unterschiedlicher nicht sein. Die Ökopartei befindet sich bundesweit und auch in Hamburg – ausweislich der Abendblatt-Umfrage von Anfang Januar – im Höhenflug. Die Kehrseite ist der Niedergang der SPD, deren Krise bundesweit existenzielle Züge annimmt.
Auch in ihrer eigentlichen Hochburg Hamburg muss sich die SPD profilieren, um den Abstand zu den Grünen zu halten. Die sind zwar klug genug, Katharina Fegebank nicht als Bürgermeisterkandidatin auszurufen. Aber die Grünen fühlen sich fast auf Augenhöhe mit der SPD und loten nun aus, wie weit sie inhaltlich gehen können.
Politisch riskant ist diese Strategie allemal für beide. Wenn die Disparitäten zwischen SPD und Grünen weiter zunehmen, dann kann bei vielen Wählern schnell der Eindruck entstehen, beide Parteien wollten gar nicht mehr zusammen regieren. Schon mochte sich SPD-Parteichefin Melanie Leonhard nicht zu einer klaren Koalitionsaussage zugunsten der Grünen durchringen. Profitieren würde von dem Regierungszwist dann die Opposition, allen voran die CDU, die noch sehr mit sich selbst und der Suche nach einem Spitzenkandidaten beschäftigt ist.