Henning Vöpel, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts HWWI, fordert mehr Mut zum Wandel in der Hansestadt.

Hamburg geht es gut. Wirtschaftskraft und Lebensqualität sind auf hohem Niveau. Aber draußen, außerhalb des beschaulichen Hamburger Mikrokosmos, verändert sich die Welt gerade rasant: Der Übergang in eine multipolare Weltordnung verschiebt jahrzehntelang bestehende Machtverhältnisse, und die Digitalisierung löst das industrielle Zeitalter der letzten zweihundert Jahre ab.

Eine regelrechte Neuvermessung der Weltwirtschaft ist im Gang. Vor allem China bastelt mit der Neuen Seidenstraße und hohen Investitionen in künstliche Intelligenz buchstäblich mit aller Macht an der neuen Welt. Die USA befinden sich im Rückzug, Europa vor einer unsicheren Zukunft. Hamburg ist von all diesen geopolitischen und technologischen Entwicklungen in seinem Kern betroffen.

Die Neuvermessung der Welt wird Gewinner und Verlierer hervorbringen. Hamburg kann zu den Gewinnern gehören. Aber zwei Nachteile erfordern so schnelles wie mutiges Handeln: Hamburgs Wirtschaft unterliegt erstens einem hohen technologischen Disruptionsgrad und weist zweitens eine hohe strukturelle Trägheit auf. Das ist ausdrücklich kein politisches Versäumnis, sondern ein historisches Erbe. Doch das daraus resultierende Standortrisiko ist größer, als es mancher heute wahrhaben will.

Spediteure, Reeder und Banken sind als Erste betroffen

Eine Hafenstadt mit Tradition in Handel und Logistik, aber ohne internationale Bedeutung in Technologie und Wissenschaft lässt sich nicht einfach mal so transformieren. Natürlich werden Container und Schiffe auch in Zukunft gebraucht, aber Marktmacht und Margen verlagern sich zu den datenbasierten Plattformen und den technologiegetriebenen Geschäftsmodellen. Vor allem und zuerst sind die Intermediäre von der Disruption betroffen – also Spediteure, Reeder, Banken.

Jetzt schon organisiert das Online-Kaufhaus Amazon weltweite Logistikketten, und es dauert wohl nicht mehr lange, bis Amazon anfängt, mit den Daten seiner Kunden die weltweite Produktion zu steuern. Gleichzeitig wird durch den hochgerüsteten Hafenwettbewerb und die großen Schiffe die Infrastruktur des Hafens teurer und der Flächenbedarf größer. Brauchen Hamburg und Norddeutschland vielleicht eine viel grundlegendere Diskussion über die wirtschaftlichen Grundlagen der Zukunft, als sie heute geführt wird?

Hamburg braucht Mut zum Wandel

Viel Gutes und Richtiges geschieht in der Stadt, ob neue Mobilitätskonzepte, Exzellenzcluster, Energiewende oder Wohnungsbau. Aber eine Frage ist damit nicht beantwortet: Womit will Hamburg in zehn Jahren sein Geld und seinen Wohlstand verdienen? Das Szenario, dass in zehn Jahren zwanzig Prozent der heutigen regional an Hamburg gebundenen Wertschöpfung fehlen könnten, klingt provokant, ist aber nicht einmal unrealistisch.

In Zeiten eines so tiefen Strukturwandels, wie wir ihn gerade vor uns haben, herrscht oft eine gefährliche Vermögensillusion vor, die den Wert des Alten über- und die Kraft des Neuen unterschätzt. Andere Länder und Regionen haben bereits hohe Geschwindigkeit aufgenommen. Darunter auch ­deutsche Städte wie München, das Wissenschaft, Technologie und Unternehmertum klug miteinander verbindet. Das Rennen um die Zukunft wird auch durch Mut zum Wandel entschieden. Dabei gelten zwei Grundsätze jeder dynamischen Wirtschaftsentwicklung: Aktivität löst Aktivität aus, und Wissen zieht Wissen an. Entscheidend ist, damit unverzüglich und konsequent zu beginnen.