Debakel im „Cold Cases“-Prozess zeigt die Probleme bei Lösung alter Kriminalfälle

Es war, als würde die Gerechtigkeit mit großer Fanfare siegen: Eine Spezialeinheit stürmte im Februar ein Wohnhaus in Wandsbek, dann führte Soko-Chef Steven Baack den 54-jährigen Verdächtigen persönlich ab – mit Heroenblick und Daunenjacke, 37 Jahre nach einer bestialischen Sexualtat in Steilshoop. Doch so groß wie damals der Stolz auf die Abteilung „Cold Cases“ war, so groß ist nun bei der Polizei das Bestreben, den Schaden des Debakels irgendwie zu begrenzen.

Der Autor ist Redakteur der Lokalredaktion des Abendblatts
Der Autor ist Redakteur der Lokalredaktion des Abendblatts © HA | Klaus Bodig

Die Vorsitzende Richterin am Landgericht hat nicht nur Frank S. freigesprochen, sondern dem Vertrauen in den Polizeiapparat einen schweren Hieb verpasst. Sie sprach von „dubios“ zustande gekommenen Zeugenaussagen, von Hinweisen auf die Täuschung von Zeugen, auf „verbotene Ermittlungsmethoden“. Dass die Polizeiführung kaum zur energischen Verteidigung ihrer Ermittler ansetzt, sondern möglichen „handwerklichen Fehlern“ nachgeht, sagt viel über die Stichhaltigkeit der Vorwürfe. Vor allem stellt der Fall die Schwierigkeiten bei der Lösung alter Verbrechen ins Scheinwerferlicht.

Das nur vierköpfige Team um Steven Baack hat sich, so viel scheint klar, auf der Suche nach dem Täter verrannt. Dem Angeklagten wurde offenbar angedeutet, man verfüge über DNA-Spuren, die es nie gab – und aus seiner Aussage, er habe die Tatwaffe vielleicht einmal in den Händen gehalten, wurde ein Geständnis desselben. Das Opfer wurde laut Richterin suggestiv befragt; eine Mail an die Soko, nach der auch ein anderer Mann für das Verbrechen verantwortlich sein könnte, verschwieg man geflissentlich. Der Zeuge Martin T. belastete den Angeklagten erst, als man ihm mutmaßlich eine Belohnung in Aussicht stellte.

Wenn sich diese Vorwürfe erhärten, sind dies haarsträubende Fehler wie aus einer schlechten Kriminalsatire – und ein Vorgehen so klar außerhalb des Protokolls, dass es schwerfällt, nicht von einer absichtlichen Grenzüberschreitung auszugehen. Soko-Chef Baack gilt eigentlich als eine der großen Nachwuchshoffnungen der Polizei, als einer aus der modernen Beamtengeneration, die sich keine Fehltritte aus Impulsivität leistet. Die Aufgabe bei „Cold Cases“ ist jedoch extrem schwierig: Die Ermittler müssen sich gedanklich tief in längst vergangene Zeiten begeben, Zeugen nach jahrzehntealten Erinnerungen fragen; gleichzeitig stehen kaum handfeste Spuren in Aussicht. Die Tatwaffe, bekanntlich König unter den Beweismitteln, ist etwa im aktuellen Fall schon vor Jahrzehnten im Besitz der Polizei verschwunden.

Ob die Führung an Baack als Soko-Chef festhalten kann und wird, ist fraglich – eine notwendige Reaktion auf den Freispruch lautet, die Kontrolle der „Cold Cases“-Ermittlungen zu verbessern. Auch die Staatsanwaltschaft als „Herrin des Verfahrens“ musste in dem Gerichtsprozess feststellen, dass sie selbst zu wenig wusste – und eigentlich nie hätte Anklage erheben dürfen.

Für generelles Misstrauen gibt es jedoch keinen Anlass. So konnte die Soko etwa zuvor den Mord an Beata Sien­knecht aus Steilshoop sauber aufklären. Die Anwältin des Opfers in dem aktuellen Prozess formulierte die richtige Haltung: Alle Versäumnisse müssten transparent aufgearbeitet werden. Dass es die Soko „Cold Cases“ gibt, hat zwei strahlend helle Vorteile: Sie gibt Bürgern das Vertrauen, dass kein Fall vergessen wird – und nimmt Tätern die Gewissheit, davongekommen zu sein.