Warum ich mich als Pastor von St. Katharinen für eine mutige Wiederbelebung der Innenstadt einsetze

„Wo, bitte schön, ist denn hier die Altstadt?“ So höre ich immer wieder Passanten rätseln, wenn sie vor St. Katharinen stehen und das, was da auf ihrem Stadtplan steht, mit der Stadt vergleichen, die sie zwischen Speicherstadt und Rathausmarkt erleben.

Tatsächlich ist Hamburgs Altstadt heute fast vollständig verloren gegangen. Das ist aber weniger ein Ergebnis des großen Stadtbrandes von 1842 – schließlich wurde die Innenstadt zwischen 1850 und 1914 als „Kunstwerk Hamburg“ neu gestaltet. Und selbst den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs ist nicht gelungen, was die Stadtentwicklung zwischen 1945 und 1975 vollbrachte: die alte Stadt mit ihrer engmaschigen Verwobenheit von Arbeiten und Wohnen, von Privatem und Öffentlichem zu zerstören und öffentlichen Stadtraum vor allem als Raum für Verkehrsinfrastruktur zu begreifen.

Frank Engelbrecht ist Pastor der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen.
Frank Engelbrecht ist Pastor der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen. © HA | Marcelo Hernandez

Mit dem Schweizer Stararchitekten Le Corbusier träumten Architekten und Stadtplaner der Moderne von Menschen, die mit ihren Autos frei über breite Promenaden gleiten, um sich an der klaren Linienführung einer lichten Stadt zu erfreuen und abends in den Frieden ihrer von Bestandsgrün eingefassten Schlafquartiere zurückkehren. Die quirlige europäische Stadt, in der sich alle mit allen und alles mit allem trifft, sollte endlich aufgeräumt und in sauber funktionell gegliederte Stadtbereiche getrennt werden.

Hamburgs Stadtentwickler der Nachkriegszeit folgten diesem Zeitgeist mit großer Konsequenz: Die City wurde entvölkert, weit stärker übrigens als in fast allen anderen europäischen Metropolen. Heute ist sie vor allem Büro- und Einkaufsstadt, die von großen Verkehrsschneisen durchschnitten und eingerahmt wird. Jenseits der Ladenöffnungszeiten will kein rechtes Leben aufkommen. Feinstaub und Lärm gefährden die Gesundheit, der Einzelhandel ringt ums Überleben, und wer des Nachts auf den Jungfernstieg geht, um von dort das malerische Bild der Alster zu genießen, muss aufpassen, nicht in eine Schlägerei zwischen vagabundierenden Banden zu geraten. Zugleich hat sich das Projekt der Schlafstädte nicht bewährt.

Eine Rückkehr zur ursprünglichen Qualität der europäischen Stadt ist das Gebot der Stunde: Die gute und nachhaltig zukunftsfähige Stadt bringt Leben und Arbeiten, Kultur und Bildung und Menschen aller Generationen zusammen. Ihre Straßen gehören nicht mehr zuerst den Autos, sondern allen. Auch in den politischen Programmen wie etwa dem Hamburger Innenstadtkonzept ist das Prinzip der sozial gemischten, multifunktionalen und lebenswerten Stadt längst Konsens.

Damit diese Neubesinnung praktisch gelingt, bedarf es eines umfassenden gesellschaftlichen Prozesses, der die Verantwortung für Stadtentwicklung nicht alleine der Politik und den Investoren, Architekten und Verkehrsplanern überlässt. Deshalb engagiere ich mich in der Initiative „Altstadt für Alle!“ (www.altstadtfueralle.de). Diese breit aufgestellte zivilgesellschaftliche Initiative orientiert sich am „menschlichen Maß“, wie es mit großem Erfolg seit Jahrzehnten der dänische Stadtplaner Jan Gehl vorlebt. Seine Projekte, ob in Melbourne, New York, Moskau oder in Kopenhagen, nehmen den öffentlichen Stadtraum in den Blick. Ihn so zu gestalten, dass sich Menschen gerne in ihm aufhalten, ist dabei die oberste Maxime.

Warum ich mich gerade für die Innenstadt engagiere? Städte brauchen ein lebendiges Herz, ein Zentrum, das für alle Bewohner und Gäste da ist, Identität stiftet, Maßstäbe setzt. Eine Neubelebung der Innenstadt wird auf ganz Hamburg ausstrahlen. Dafür bringen wir uns ein mit vielen Ideen, z. B. für soziales Wohnen in der Altstadt, neue Plätze für Begegnung und Austausch, die Belebung der Wasserwege oder für einen Kulturboulevard vom Oberhafenquartier bis zur Kunsthalle. Ich glaube, die Zeit ist reif für einen mutigen Stadtumbau jetzt und heute.

18.Oktober, 19 Uhr: Stadtumbau jetzt! Diskussionsveranstaltung. Reimarussaal, Trostbrücke 6, Anmeldung: www.patriotische-
gesellschaft.de21. Oktober, 15 Uhr: „Stadtimprovisationen“ – Gesprächskonzert u. a. mit Daniel Stickan, Halle 424 im Oberhafen, Stockmeyerstr. 43