Ausgerechnet gegenüber Touristen wachsen die Vorbehalte

Ein neuer Begriff geistert durch die Tourismus-Debatte: „Overtourism“ heißt er und beschreibt das wachsende Unbehagen an einem Massentourismus, der sich an sehenswerten wie überschaubaren Orten ballt. Dem Tourismus wohnt eine selbstzerstörerische Kraft inne: Der Fremdenverkehr gefährdet ausgerechnet das, was ihn erst möglich macht – die Magie des Ortes, den Reiz einer Stadt.

Venedig ächzt seit Jahren unter einem Boom, der die Stadt zur Kulisse für den Fremdenverkehr degradiert. In Barcelona bricht sich die Wut über Millionen Besucher in Protesten Bahn: Militante Gegner zerstachen die Reifen von Reisebussen, zerstörten Leihräder oder bildeten Menschenketten gegen Badende. Unter dem Ruf „Die Stadt ihren Bewohnern!“ gibt es eine ganz neue Spielart der Fremdenfeindlichkeit. Was für eine besondere Pointe der Globalisierung! Immer mehr Menschen reisen, und immer mehr Menschen ärgern sich über Reisende. Nicht selten sind es ein und dieselben.

Auch in der Hansestadt mokieren sich immer mehr Menschen über die Ballermannisierung der Stadt. Gerade Linke beschweren sich zunehmend über den „Rollkofferalarm in den Szenevierteln“ – manche, die sonst stets für offene Grenzen kämpfen, erlauben sich hier eine Prise Fremdenverkehrsfeindlichkeit. Das mag noch keine Massenbewegung sein. Aber der Stolz darüber, dass die Welt auf Hamburg fliegt, schwindet und wendet sich in Wut.

Deshalb versucht der Tourismusverband Hamburg, der wachsenden Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, bevor er zum Sturm anschwillt. Nun sollen zur Entlastung der Sehenswürdigkeiten Randbezirke in den Fokus des Fremdenverkehrs geraten. Bei allem Verständnis für den Wunsch, die (zahlungskräftigen) Besucher nach Bergedorf, Harburg oder Altona zu verteilen, klingt das nach einer Mischung aus Planwirtschaft und Satire. Kommt ein Skandinavier wirklich in die Stadt, um die Vier- und Marschlande zu sehen? Will ein Römer durch Rahlstedt lustwandeln? Sucht ein Wiener das Vergnügen statt auf St. Pauli dann in St. Ellingen?

Die Hamburger, die sich sonst gern ihrer Weltläufigkeit rühmen und ihre Stadt für das Tor der Welt halten, sollten sich nicht zu sehr über die Gäste empören. Der Fremdenverkehr bleibt in der Hansestadt, allen monatlichen Jubelmeldungen zum Trotz, noch überschaubar: Zählte die Hansestadt zuletzt 13,8 Millionen Übernachtungen im Jahr, waren es in Berlin 31 Millionen – und der Zuwachs dort lag über dem der Hansestadt. Das kleinere München kam 2017 auf 15,7 Millionen Übernachtungen. Und pro Einwohner werden Frankfurt am Main, Dresden oder Heidelberg viel häufiger besucht.

Das bedeutet aber nicht, dass Hamburg alles dem freien Markt überlassen soll: Realistischer als eine weiträumige Verteilung der Gäste zwischen Altona und Zollenspieker ist die Steuerung der zahlreichen Veranstaltungen. St. Pauli leidet zweifelsohne unter einem ausufernden Vergnügungstourismus – warum der Kiez zusätzlich noch den Schlagermove oder das Fanfest ertragen muss, versteht kein Anwohner mehr. Immerhin: Die Harley Days sind zum Großmarkt umgezogen. Und den Auswüchsen der Untervermietung von Wohnungen in Szene-Stadtteilen an Touristen will der Senat einen Riegel vorschieben.

Wer diese Fehlentwicklungen begrenzt, darf sich über Reisende freuen: Gäste sind Beleg für die Attraktivität der eigenen Stadt. Und wer möchte schon an einem Ort leben, den die Menschen meiden?