Die bayrische Landtagswahl sollte der Hamburger SPD eine Warnung sein
Diese Landtagswahl war anders. Bislang gehörte es zur Tradition, in der Wahlnachlese die Zahlen und Daten so lange zu analysieren und schönzurechnen, bis sich jede Partei zumindest ein wenig als Sieger fühlen konnte. Das geht nach dem Urnengang in Bayern beim besten Willen nicht mehr – die CSU hat 10,4 Prozentpunkte, die SPD sogar 10,9 Punkte verloren. Da wirkt es grotesk, wenn Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) ausgerechnet die CSU zu Konsequenzen auffordert oder CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt auf den Parteifreund „Genosse Günther“ in Kiel losgeht.
Die Schuld sollten sie nicht bei anderen suchen, sondern bei sich selbst. Union und SPD sind beide und gemeinsam abgestraft worden. Ihre Große Koalition in Berlin liegt in Agonie – und nur ihr beider Misserfolg kettet die zerstrittenen Partner noch wie Ertrinkende aneinander. Für CDU/CSU und SPD wären Neuwahlen bei derzeit 26 bis 28 beziehungsweise 16 bis 17 Prozent keine Lösung ihrer Probleme, sondern eher Selbstmord aus Angst vor dem Tod.
Nach den Wahlen in Hessen – sollten sie in einem ähnlichen Desaster enden – gehören auch radikale Exit-Strategien auf den Tisch: Ein Rücktritt der müden Kanzlerin Angela Merkel und eine darauf folgende Jamaika-Koalition unter Annegret Kramp-Karrenbauer könnte nicht nur für die beteiligten Parteien, sondern auch für die SPD und das Land die bessere Lösung sein.
Mehr noch als die Unzufriedenheit mit der GroKo zeigt das Wahlergebnis die Polarisierung in der Gesellschaft: Die Volksparteien erodieren rasant, rechts erstarkt die AfD. Nur eine Partei profitiert noch – die Grünen, die sich nicht nur als Anti-AfD zelebrieren, sondern zugleich Anti-GroKo-Partei sind. Sie wirkt, auch durch eine mitunter cheerleaderlaute Medienbegleitung, wie die gut gelaunte Tochter der alten Tante SPD, wie das moderne und innovative Gegenmodell zur Union. Wer die Öko-Partei wählt, eckt nicht an; der Zeitgeist trägt grün. Man verzeiht der Partei auch eine gut gelaunte Verantwortungslosigkeit – etwa bei den Protesten im Hambacher Forst oder beim Streit um sichere Herkunftsländer.
Diese grüne Welle muss die Hamburger SPD ernst nehmen. Bei der letzten Bürgerschaftswahl lagen die Sozialdemokraten gut 33 Prozentpunkte vor den Grünen. Früher waren das Welten, heute verkümmern sie zur Momentaufnahme. In Bayern haben die Sozialdemokraten fast elf Prozentpunkte verloren, die Grünen neun Prozentpunkte gewonnen. Noch krasser sind die Wählerwanderungen in den Großstädten: In München liegen die Grünen mit 30,3 Prozent (plus 17,5 Punkte) sogar vor der CSU, die SPD hat sich auf 13,6 Prozent mehr als halbiert. Es ist nicht lange her, dass die SPD noch die „München-Partei“ war mit Bürgermeistern wie Hans-Jochen Vogel, Georg Kronawitter oder Christian Ude.
Die Städte ändern sich durch Globalisierung, Gentrifizierung und Zuwanderung radikal – und mit ihnen die Wahlergebnisse. Für die Hamburg-Partei SPD und ihren noch blassen Bürgermeister Peter Tschentscher sind das keine guten Nachrichten. Die Grünen aber dürfen sich auf die Bürgerschaftswahl 2020 freuen: Der Trend ist ihr Freund. Auch inhaltlich läuft es rund: Die Grünen punkten bei der Entwicklung zur Wissensmetropole oder beim Rückkauf des Fernwärmenetzes. Und mit ihrer Spitzenkandidatin Katharina Fegebank verfügen sie über eine Frontfrau, die alte Lagergrenzen überwinden kann. Noch will sie keine Bürgermeisterkandidatin sein. Aber das könnte sich ändern – vielleicht schon nach der nächsten Umfrage.