Das Projekt „Wohnen an der Autobahn“ zeigt den großen Druck beim Neubau.
Im stilvollem Ambiente des Bundeskanzleramts berieten am Freitag Entscheider der Immobilienwirtschaft mit hochkarätigen Politikern, an der Spitze Angela Merkel, über Lösungen der Wohnungsmisere. Zur aktuellen Lage auf dem Mietmarkt wäre das Neubauprojekt an der A 23 in Eidelstedt als Tagungsort besser geeignet gewesen. Beim Wohngipfel hätte die Branche dann vor Ort sehen können, wie dramatisch sich der Immobilienmarkt in Metropolen entwickelt hat.
Kein anderes Quartier in Hamburg zeigt so sehr, wie sich die Zeiten geändert haben. Vor zehn Jahren hätte ein Plan, rund 850 Wohnungen direkt an der Autobahn zu bauen, unter Aprilscherz-Verdacht gestanden. Doch nun gewinnen Großstädte wie Hamburg mehr und mehr an Attraktivität. Dazu wächst die Herausforderung, Flüchtlingen mit Bleibeperspektive adäquaten Wohnraum zu bieten. Container gehören definitiv nicht dazu.
Daher müssen Stadtplaner überraschende, unbequeme Wege gehen. Zumal moderne Technik wie durchsichtige Schallschutzwände und speziell konstruierte Fenster Verkehrslärm dämpfen. Und auch die Zukunft könnte den Bewohnern in die Karten spielen. Der Anteil geräuscharmer E-Autos wird in den kommenden Jahren steigen. Und Flüsterasphalt als Autobahnbelag ist an dieser Stelle schon geplant.
Nein, allein Verkehrslärm darf kein K.-o.-Kriterium mehr gegen ein neues Quartier sein, nicht in diesen Zeiten, wo selbst Arbeitnehmer mit einem guten Einkommen Probleme haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden.
Bitter ist dennoch, dass das Umsteuern der Pläne in der Bauphase - es werden jetzt viel weniger Flüchtlingsunterkünfte mit speziellen Standards gebraucht – den Steuerzahler Geld kosten. Dies als mögliche Misswirtschaft anzuprangern, gehört zu den Aufgaben einer Opposition, die CDU macht hier einen guten Job.
Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass man Entscheidungen immer im historischen Zusammenhang beurteilen sollte. Der Senat stand 2015 und 2016 in der Frage Flüchtlingsunterkünfte unter ungeheurem Druck. Auch kleine Kinder, viele von ihnen schwerst traumatisiert durch die Flucht, mussten in Baumärkten und Zelten ausharren. Mit Recht verweist die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen nun auf eine Notsituation. Ein Stopp aller Planungen hätte das Engagement des Investors gefährdet - und damit das gesamte Projekt.
Am Ende geht es abseits aller finanziellen Abwägungen um die Schlüsselfrage, ob ein solches Quartier mit über 850 Wohnungen wirklich in einen Stadtteil passt, der ohnehin schon unter schwierigen sozialen Strukturen leidet. Kann hier Integration von Flüchtlingen wirklich gelingen? Und was passiert, wenn der Druck auf dem Wohnungsmarkt in zehn oder 20 Jahren nachlassen sollte, weil Metropolen an Zugkraft verlieren? Droht dann Leerstand? Umso bedauerlicher stimmt es, dass es dem Senat nicht gelungen ist, die Initiative „Sozial gerechtes Eidelstedt“ zu überzeugen.
Aber es gibt auch positive Zeichen: Die Gebäude wirken hochwertig, die Anbindung an den Nahverkehr ist optimal. Vor allem bekennt sich der Investor als erfahrener Verwalter im geförderten Wohnungsbau zum Quartier; die Gefahr, dass er bei Problemen gleich Kasse machen wird, ist gering. Und der Senat stützt das Viertel mit einem klugen Integrationskonzept.
Daher sollten auch die Skeptiker hoffen, dass das Quartier doch ein Erfolg wird. Denn ein Scheitern wäre ein Konjunkturprogramm für die AfD.