Spaß, Spannung und Spektakel gibt es in jeder Spielklasse, aber es kommt auf die Kommunikation der Ziele an.

Es ist rund drei Jahrzehnte her, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bei der Vergabe seiner Länderspiele Hamburg ins Abseits stellte. Das Publikum hier sei zu kritisch, hieß es aus der Frankfurter Zentrale, es würde zu schnell zu pfeifen beginnen, stimmten die Leistungen mal nicht – was allerdings des Öfteren vorkam. Die heftigen Reaktionen darauf seien den Auswahlkickern des Landes aber nicht zuzumuten, auch weil diese andernorts weit größere Unterstützung erführen.

Heute ist Hamburg Sehnsuchtsort vieler Verbände. Nirgendwo werden ihre Sportler enthusiastischer gefeiert als an Alster und Elbe, sagen etwa die Triathleten, und die ansässigen Vereine wundern sich, dass selbst sportliche Talfahrten, Insolvenzen und Niederlagenserien den Zuschauerstrom nicht abreißen lassen. Bemerkenswert dabei: In den landesweit vier besucherstärksten Sportarten Fußball, Basketball, Eishockey und Handball ist die zweitgrößte Stadt der Republik erstmals nicht mehr in wenigstens einer der vier Eliteligen vertreten.

Nach dem Saisonstart des HSV und des FC St. Pauli in der Zweiten Fußball-Bundesliga, vor den ersten Zweitligabegegnungen des Handball Sport Vereins Hamburg (heute Abend in Balingen) und der Basketballer der Hamburg Towers (22. September) darf deshalb 30 Jahre nach der Ausgrenzung des DFB mit Erstaunen festgestellt werden: Hamburg kann auch Zweite Liga. Der HSV im Volksparkstadion und der FC St. Pauli am Millerntor spielten zuletzt vor fast ausverkauften Häusern, die Handballer mussten ihren Dauerkartenabsatz bei 2016 Abos stoppen, und in der Wilhelmsburger edel-optics.de-Arena waren in der vergangenen Serie die 3400 Karten regelmäßig vergriffen, obwohl die Towers von Tabellenplatz drei zwischenzeitlich auf Rang zwölf stürzten.

Rainer Grünberg
Rainer Grünberg © HA | Andreas Laible

Das verlangt nach Erklärungen.

Die Eventisierung des Sports spielt dabei eine zentrale Rolle, weshalb die Veranstaltungen zunehmend für Frauen und Familien attraktiver werden. Umfeld, Ambiente, Atmosphäre, Rahmenprogramm, Komfort haben bei der Entscheidung, ein Spiel zu besuchen, an Gewicht gewonnen, Leistung ist wesentlich weniger als früher erste Entscheidungsinstanz. Hinzu kommt: Hamburgs Spielstätten sind erstligareif, bundesweit mit die besten und modernsten. Und Spaß, Spannung, Spektakel werden auch in Liga zwei ausreichend geboten. Im Gegensatz zur reproduzierenden Kunst, bei der jeder Fehler der Werkwiedergabe Misstöne auslöst, sind im Sport Fehlleistungen Motor des Wettkampfs, bleibt der ungewisse Ausgang ein Alleinstellungsmerkmal des Genres und macht sportlichen Wettstreit niveauunabhängig massentauglich.

Zudem ist die Identifikation der meisten Fans nicht an die Spielklasse ihres Clubs gebunden: einmal HSV, immer HSV. Die Mitgliederzahl des Vereins stieg trotz – oder gerade wegen – des Abstiegs um mehrere Tausend; Zusammenhalt in guten und in schlechten Zeiten, das zeichnet eben nicht nur lange Ehen aus. Auch spielen in der Zweiten Liga nicht mehr diese „Scheiß-Millionäre“, der Sport kommt ehrlicher, authentischer, nachvollziehbarer, kämpferischer rüber als in den mit unendlichen Marketingmaßnahmen aufgepumpten Bundesligen. Die Hamburger Handballer haben auch deswegen selbst in der Dritten Liga Nord ihre Fanbasis halten und sogar erweitern können, weil sie 2016 nach dem Zwangsabstieg aus der Bundesliga einen glaubwürdigen Neuaufbau mit Talenten starteten.

Wichtig bleibt die Kommunikation der eigenen Ziele und Profile. Zweite Liga ist kein Makel, nur ein anderes Modul des Unterhaltungsbetriebs Sport. Es gibt gute Gründe, sich beispielsweise nicht den Mechanismen des überbordenden Kommerzes zu unterwerfen und eigenständige Formen der Existenzberechtigung zu definieren – wie es dem FC St. Pauli mit Erfolg seit Jahrzehnten gelingt. Handballer und Basketballer wandeln auf ähnlich unabhängigen Pfaden. Allein der HSV dürfte aus seinem heutigen Selbstverständnis in Erklärungsnot geraten, sollte die Rückkehr in die Bundesliga misslingen. Zwei Auswege sind denkbar: das Selbstverständnis ändern – oder (noch) besser Fußball spielen.

Übrigens: In der Bundesligasaison 1987/88 hatte der damalige deutsche Vizemeister und DFB-Pokalsieger HSV einen Zuschauerschnitt von 15.114. Heute sind es mehr als dreimal so viele.