Spätestens seit dem Mob von Chemnitz ist klar: Wir müssen damit aufhören, die AfD so zu behandeln wie jede andere Partei.
Seit am Sonntag und Montag Neonazis in Chemnitz marodierten, ohne dass die Polizei ihre Ausschreitungen eindämmen konnte, wird mit dem Finger auf Sachsen gezeigt – nicht zu Unrecht, schon weil bereits am Donnerstag der nächste Aufmarsch droht. Doch Rechtsradikale zum sächsischen Problem zu erklären, hieße, die nationale Dimension zu verkennen. Die AfD sitzt in 14 von 16 Landesparlamenten und als Oppositionsführer im Bundestag.
Es ist an der Zeit, sich von der Vorstellung zu verabschieden, man habe es bei dieser selbst ernannten Alternative nur mit einer neuen Oppositionspartei zu tun: Wenn der Bundestagsabgeordnete und Sprecher von Alice Weidel, Markus Frohnmaier, bei Twitter zur Menschenjagd aufruft, kann er kaum deutlicher machen, was die AfD von unserem Staat, unserem Grundgesetz, unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung hält.
Natürlich erklärte Frohnmaier, seine Sätze „Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende ,Messermigration’ zu stoppen! Es hätte deinen Vater, Sohn oder Bruder treffen können!“ ganz anders gemeint zu haben. Er habe nicht „zu Selbstjustiz und Menschenjagd, sondern zur Wahrnehmung von der Verfassung garantierter Rechte“ aufgerufen. Natürlich.
Die AfD treibt ein perfides Spiel
Die AfD hat das perfide Spiel mit der Sprache perfektioniert, für das es im Amerikanischen den Begriff „dog-whistle politics“ gibt. Ein deutsches Äquivalent zur Politik der Hundepfeife fehlt bisher leider. Dabei würde es dringend benötigt. Wer sich dieser Sorte Rhetorik befleißigt, sagt etwas bewusst so, dass es für die Allgemeinheit eine Bedeutung haben kann – und für die eigentliche Zielgruppe eine andere.
So kann man das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ und das Dritte Reich als „Vogelschiss“ bezeichnen; endlich wieder stolz sein auf die „Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ und auf eine „1000-jährige deutsche Geschichte“ – ohne sich allzu große Sorgen um die Folgen machen zu müssen. Schließlich gibt es immer eine wohlfeile Erklärung dafür, was man eigentlich gemeint hätte.
Natürlich gibt es auch eine Alternative: die, dass die geistigen Brandstifter der AfD tatsächlich bloß versehentlich immer und immer wieder ins Vokabular des Dritten Reichs verfallen; dass sie „jagen“ und „entsorgen“ als diskursive politische Tätigkeiten verstehen; dass es nur ein Zufall war, dass Stephan Brandner das KZ Buchenwald ausgerechnet am 8.8.18 besuchte (unter Neonazis bedient man sich gern des plumpen Zahlencodes, für einen Buchstaben dessen Stelle im Alphabet zu setzen: So wird aus „Heil Hitler“ erst HH und dann 88 und aus Adolf Hitler die 18); und dass Frohnmaier mit der „Bürgerpflicht“, von der er spricht, tatsächlich bloß auf das Recht zur friedlichen Versammlung verweist. Natürlich.
"Dieser Feind steht rechts"
Doch wer soll das glauben? Wir müssen aufhören, gute Miene zu diesem bösen Spiel zu machen, und die Wahrheit aussprechen: Im Bundestag sitzt eine Partei, die unserem Staatswesen offen feindselig gegenübertritt. Es ist an uns Demokraten, eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern.
Im Juni 1922 wurde der Reichsaußenminister Walter Rathenau von rechtsextremen Terroristen ermordet. Zuvor war gegen ihn von völkisch-nationalistischer Seite aufs Perfideste gehetzt worden. In seiner Trauerrede fand Reichskanzler Joseph Wirth klare, rückblickend betrachtet visionäre und auch heute und in Zukunft wahre Worte: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt – da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!“