Vor dem Start der 56. Saison hat Deutschlands Eliteliga größere Probleme als die erstmalige Abstinenz des HSV.

Natürlich wird es sich komisch anfühlen, wenn an diesem Freitag Bayern München und 1899 Hoffenheim die 56. Bundesligasaison feierlich eröffnen werden. Am Ende des Wochenendes wird es eine erste (wie immer wenig aussagekräftige) Tabelle geben, in der ein Fakt aber sehr große Aussagekraft hat: Der HSV wird erstmals in der Geschichte der Liga in dieser Tabelle fehlen.

Aus Hamburger Sicht könnte man sich also bequem in den Schmollwinkel der Zweitklassigkeit zurückziehen, sich über Sandhausen, Heidenheim und Bielefeld informieren und die Bundesliga (für hoffentlich nur ein Jahr) Bundesliga sein lassen. Ein paar Spieltage dürfte das vermutlich auch ganz vortrefflich funktionieren, ehe man möglicherweise doch zu Borussia Dortmund, nach Schalke, in die Münchner Allianz Arena oder ganz heimlich sogar ins Bremer Weserstadion luschert.

Die für Hamburger wahrscheinlich bitterste Wahrheit vor dem Start der Nicht-mehr-Weltmeisterliga: Die Bundesliga steht ab sofort vor größeren Herausforderungen, als eine Spielzeit ohne den HSV klarzukommen. Und zumindest außerhalb der Stadtgrenzen scheint es bei dieser Diagnose keine zwei Meinungen zu geben. Was die Symptome betrifft, könnten die Meinungen allerdings kaum unterschiedlicher sein.

Für einen Großteil der Bedenkenträger steht schon vor dem ersten Anstoß der Spielzeit fest, dass die Bundesliga den internationalen Anschluss zu verlieren droht. „Der immer schneller rasende Fußball-Zug rauscht an Deutschland vorbei“, hat Hannovers Chef Martin Kind gerade erst via „Bild“ gewarnt. Seine Kernthesen: Ein Star wie Ronaldo, der mit 33 Jahren für mehr als 100 Millionen Euro zu Juventus Turin wechselte, wird unter den aktuellen Gegebenheiten niemals in die Bundesliga kommen. Und weil Länder wie England, Spanien, Italien und sogar Frankreich weit mehr als wir zahlen, würden die großen Europapokale in der Zukunft woanders in den Nachthimmel gestemmt. Kinds Fazit: Die 50+1-Regel, die in Deutschland den Einstieg von Investoren verhindert, müsse endlich gekippt werden. Nur so könnte man mit den großen europäischen Ligen gleichziehen. Und genau an dieser Stelle wird es nun kompliziert. Denn was würden Sie sagen, wenn man Kind in nahezu allen Punkten recht gibt – und am Ende trotzdem fundamental widerspricht?

Tatsächlich wirkt der professionelle Fußball wie ein Hochgeschwindigkeitszug, der allerdings jeden Moment zu entgleisen droht. Allein die englischen Clubs haben in diesem Transfersommer 1,42 Milliarden Euro ausgegeben und damit mehr als die Clubs aller anderen Ligen der Welt.

Doch die Logik, auch hierzulande mehr Geld zu akquirieren, weil jenseits des Ärmelkanals mehr Geld als je zuvor verbrannt wird, erschließt sich nur bedingt. Und bei allem Respekt vor Ronaldo: Wer braucht einen 33 Jahre Altstar in der Bundesliga, der 30, 40 oder 50 Millionen Euro verdient? Warum soll man in die Blase, die seit Jahren aufgepumpt wird, weitere heiße Luft reinpusten? Das Durchschnittsgehalt eines Bundesligaprofis soll bereits jetzt 111.000 Euro betragen – in der Woche.

Doch wer A sagt, muss bekanntlich auch B sagen. Und das heißt wiederum in der Konsequenz: Wer sich gegen das weitere Wettrüsten, gegen ausufernde Ablösesummen, Gehälter, Beraterprovisionen und den von Kind seit Jahren geforderten Wegfall der 50+1-Regel ausspricht, der muss sich auch der umfassenden Konsequenzen klar sein: Die Bundesliga droht – wie es Kind tatsächlich richtig formuliert hat – international den Anschluss zu verlieren.

Meine Meinung: Na und!?

Statt krampfhaft dem internationalen Wahnsinn hinterherzuhecheln, sollte die Bundesliga besser aufpassen, die eigene Basis nicht endgültig zu verlieren. Der in dieser Woche aufgekündigte Dialog zwischen organisierter Fanszene, Deutscher Fußball Liga (DFL) und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) sollte mehr als ein erstes Warnsignal sein.

Wenn die 57. Bundesligasaison in einem Jahr startet, dann wieder gerne ohne 100-Millionen-Euro-Transfer, ohne Ronaldo, ohne neue Investoren und im Zweifelsfall auch ohne Champions- oder Europa-League-Finalisten. Dafür aber sehr gerne wieder mit: dem HSV.