… und doch viel hilfsbereiter und herzlicher, als man denkt. Man muss dem WM-Gastgeber nur eine Chance geben.

Ein Geständnis: Nach vier Tagen in Moskau hatte ich am Dienstag bereits genug vom WM-Gastgeber Russland. Die Sprache, das Wetter, die Fifa. Wer hier von A nach B kommen will, braucht Geduld. Problem Nummer eins: In Russland sprechen alle Russisch. Pro­blem Nummer zwei: Man glaubt es kaum, aber die Russen schreiben auch noch Russisch. Und Problem Nummer drei: Sie sprechen kein Englisch. Und sie schreiben auch kein Englisch.

Doch das größte Problem von allen: Ich spreche kein Russisch.

Vor dem Trip gen Osten habe ich mich immer als weltoffen und einigermaßen weit gereist empfunden. Die Weltmeisterschaft in Brasilien habe ich geliebt. Und auch privat bin ich gerne unterwegs: Mit meiner Familie war ich im Frühling in Kolumbien, unsere Elternzeit haben wir im vergangenen Jahr in China verbracht.

Aber weder in Oliver Bierhoffs abgelegenen Campo Bahia noch mit Kind und Kegel im kolumbianischen Dschungel der Sierra Nevada und nicht mal in den chinesischen Großstadtdschungeln von Hangzhou und Ningbo hatte ich derartige Probleme wie in Russland, mich zurechtzufinden.

Dienstag dann der Tiefpunkt: Auf der Suche nach dem Trainingsplatz der mexikanischen Nationalmannschaft irrte ich irgendwo im Nirgendwo am Rand von Moskau herum. Es regnete. Und die Adresse, die auf der Fifa-Homepage angegeben war, führte wahlweise in ein Wohngebiet (Taxi Nummer eins), zu einem Freizeitpark (Taxi Nummer zwei) oder zu einem Bowlingcenter (Taxi Nummer drei). Strike!

Das Beruhigende an der ganzen Geschichte: Ich war nicht alleine. Sämtliche Journalisten und Fans aus Mexiko hatten die gleichen Probleme. Am Ende bildeten drei Mexikaner und ich eine Leidensgemeinschaft und fanden durch mehr Glück als Verstand doch noch das Stadion vom FC Strogino, wo „El Tri“ gerade trainierte.

So weit, so schlecht.

Und an dieser Stelle kommt Geständnis Nummer zwei: Ich bin launisch. So schlecht meine Laune am Nachmittag in der Einöde war, so gut war sie am Abend zurück in der Zivilisation Moskaus. Denn wenn der Ärger über russisch sprechende Russen verraucht ist, kann man sich umso mehr über die Hilfsbereitschaft, Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Russen freuen.

Mit Händen und Füßen wird gezeigt, erklärt und geholfen. Verzweifelt man mal wieder vor einer Anzeigetafel mit ausschließlich kyrillischer Schrift, eilt meist ungefragt ein kleines Helferlein herbei und ist zur Stelle.

Noch schöner zu beobachten ist, dass die meisten Russen tatsächlich froh zu sein scheinen über diese ungebildeten, nicht russisch sprechenden und nicht einmal russisch schreibenden Besucher aus dem Westen. Tanzende Saudis auf dem Roten Platz werden genauso staunend und freundlich mit dem Handy gefilmt wie rot angemalte Peruaner vor dem Kreml (oder verirrte Journalisten aus Deutschland am Stadtrand). Nachdem es in den ersten Tagen eher ruhig war in Moskau, wurde es in den vergangenen Tagen laut, bunt und lustig. Überall trafen Russen und Ecuadorianer, Portugiesen, Iraner oder Senegalesen aufeinander. Als launischer Beobachter, dessen Stimmung so schnell wechselt wie in Spanien der Cheftrainer, ertappte man sich selbst dabei, wie von jetzt auf gleich so etwas wie WM-Stimmung aufkam.

Und hier jetzt Geständnis Nummer drei: Zu allem Überfluss bin ich auch noch romantisch. Und bevor die eigene Ehefrau Einspruch erhebt, präzisiere ich: fußballromantisch. Denn wenn man für einen kurzen Moment die Geldmacherei, die Propaganda und die Politik vergisst, die dieses großartige Spiel im Würgegriff haben, dann könnte man ganz naiv sagen, dass es doch genau darum bei einer Fußball-WM gehen sollte: Völkerverständigung.

Russland ist nicht Brasilien. Und trotzdem freue ich mich auf die kommenden Wochen in Sotschi, Nischni Nowgorod und Rostow am Don. Und allen Daheimgebliebenen sei im Hinblick auf die WM noch eines gesagt: Zhelayu khorosho provesti vremya! Übersetzt: Viel Spaß! Ist doch gar nicht so schwer.