Schwarz-rot-goldene Girlanden – ja gut. Schwarz-rot-goldene Wimpern – bloß nicht. Ich vertraue auf den Sonntag.

Es ist vollbracht. Aus der Mitte des Wohnzimmers betrachte ich mein Kunstwerk. Auf dem breiten Rand des Fernsehers liegt eine Girlande, sie baumelt an den Seiten herunter. An der Wand über dem Bildschirm klebt eine Deutschland-Fahne. Und zwischen zwei Lampen im Flur hängen Luftschlangen, an deren Enden Ballons befestigt sind.

Zu Beginn der Woche habe ich meiner Wohnung ein neues Flair verpasst. Ab jetzt dominieren die Farben Schwarz, Rot und Gold. Sie ahnen es, liebe Leser, das ist kein Zufall. So sieht mein verzweifelter Versuch aus, mich in WM-Stimmung zu bringen.

Ich liebe Fußball. Das können Sie mir glauben. Schon im Kinderwagen hat mich mein Vater über den Rasenplatz unseres Heimatvereins in Norderstedt geschoben. Seitdem bin ich infiziert. Während der Bundesligasaison verbringe ich meine Wochenenden entweder im Stadion oder vor dem Fernseher. Mit meinem Freund diskutiere ich lieber über die nächste Startelf des HSV anstatt über den vollen Müllsack. Und der Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 war für mich emotionaler als die Hochzeit von Meghan Markle und Prinz Harry. Und das soll schon was heißen.

Und trotzdem stelle ich ernüchtert fest: Heute geht die WM in Russland los – aber irgendwie hat mich die Begeisterung noch nicht gepackt. Warum?

Vielleicht liegt es am politischen Vorgeplänkel. Die Diskussion um die Fotos von Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nervt. Manch einem vermiesen auch die Korruptions- und Dopingvorwürfe gegen das Gastgeberland die Stimmung. Oder aber uns Hamburgern war die fußballfreie Zeit nach den schlechten Saisonleistungen des HSV und des FC St. Pauli einfach zu kurz. Alles gut möglich. Doch die entscheidende Frage bleibt: Wie schaffe ich es, mich in WM-Laune zu bringen?

Die wichtigsten Vorabmaßnahmen habe ich getroffen. Nummer eins: Schon vor drei Wochen habe ich mir den Klassiker, das Panini-Sticker-Album, zugelegt. Es garantiert, zumindest die Namen der Spieler aus Senegal, Saudi-Arabien oder Tunesien schon einmal gehört zu haben. In meinem Heft fehlen noch rund 300 der 682 Sticker (wer tauschen möchte, bitte bei mir melden!). Ein Fan muss für seine Sammlung tief in die Geldbörse greifen. Bei der WM in Brasilien vor vier Jahren hat ein Päckchen à fünf Sticker noch 60 Cent gekostet – inzwischen sind es 90.

Paul Harper, Mathematik-Professor an der Universität in Cardiff, hat vorgerechnet, wie teuer ein komplett gefülltes Panini-Heft ist. Das Ergebnis: Ohne Tauschen kostet es im Durchschnitt 870 Euro, mit Tauschen 280 Euro. Nicht gerade billig, diese WM-Stimmung.

Maßnahme Nummer zwei: Ich bin einer Tipprunde beigetreten. Wir sind rund 20 Personen in einer Gruppe von Freunden und Familie – der Jackpot liegt bei 200 Euro. Es ist eine prima Möglichkeit, von dem Gewinn einen Teil meines Panini-Albums zu refinanzieren.

Und um erfolgreich zu tippen, ist Maßnahme Nummer drei dringend notwendig: alle Informationen über die teilnehmenden Teams über WM-Sonderhefte, Zeitungen und Internetseiten aufsaugen. Wer ist Geheimfavorit? Welche Halbfinalkonstellationen sind möglich? Und wer ist heißester Anwärter auf die Torjägerkrone?

Mit der Umgestaltung meiner Wohnung habe ich übrigens Maßnahme Nummer vier ergriffen. Im Drogeriemarkt meines Vertrauens verteilen sich Merchandisingartikel auf vier verschiedene Ständer. Vom Toilettenpapier über Glitzertattoos bis hin zu unechten Wimpern – es gibt kaum ein Produkt, das nicht in Deutschland-Farben vermarktet wird. Dennoch bestätigte mir eine Mitarbeiterin die mangelnde Vorfreude bei den Kunden: „Bisher lief der Verkauf eher schleppend. Aber jetzt geht es los. Die Leute kaufen einfach alles.“ Scheinbar gibt es noch mehr verzweifelte Fußball-Fans, die mit Girlanden, Fahnen und Luftballons auf der Suche nach der WM-Stimmung sind.

Für am effektivsten halte ich aber die allerletzte Maßnahme. Spätestens wenn ich am Sonntagnachmittag auf dem Sofa meiner besten Freunde sitze und unser erstes Gruppenspiel gegen Mexiko im Fernsehen läuft, kribbelt es hoffentlich im Bauch.