Der Stau von heute ist das Versagen von gestern
Wer heute im Stau steht, fassungslos eine Baustelle nach der nächsten passiert oder durch Schlaglöcher holpert, wettert schnell über das Chaos auf Deutschlands Wegen – auf zu viel Verkehr, unzureichende Koordination oder Übermotivation der Straßenbauer, kurzum: auf schlechte Politik. So verständlich das Schimpfen klingen mag, so falsch ist es doch. Denn die Kritik kommt ein Vierteljahrhundert zu spät – mindestens.
Der Stau von heute ist das Versagen von gestern. Seit den 80er-Jahren werden die Verkehrswege – Straßen, Schienen und Wasserwege – nicht mehr ausreichend finanziert. Mit der Wiedervereinigung vergrößerte sich im Westen das Problem. Kurzfristig hat sich die Politik in Zeiten knapper Kassen für das geringere Übel entschieden: An der Infrastruktur lässt sich leichter sparen, weil die Menschen nur indirekt betroffen sind und sich die Konsequenzen erst nach der nächsten Legislaturperiode, irgendwann in der Zukunft, zeigen. An diesem Punkt steht jetzt die gesamte Republik – im Stau. Tausende Autobahnbrücken sind nicht mehr voll funktionsfähig, andernorts nutzen wir im 21. Jahrhundert die Infrastruktur der Kaiserzeit.
Wirtschaftlicher Erfolg und eine gute Infrastruktur aus Schienen, Straßen, Wasserwegen und Breitbandnetzen hängen untrennbar zusammen. Doch noch weniger als den Stau mögen wir den Neubau. Infrastrukturprojekte werden hierzulande allzu oft hinterfragt, bekämpft, beklagt. Man verweist auf die bestehenden Verkehrswege, die doch stets ausgereicht hätten, und leugnet das Wachstum. Das Problem dabei: Mit dieser Politik organisieren wir den Stau von morgen – oder den wirtschaftlichen Niedergang. Wohin eine vernachlässigte Infrastruktur führen kann, lässt sich im Hamburger Hafen besichtigen, der seit 2001 auf die Elbvertiefung wartet.