Senat hat spektakuläre Kehrtwende im Umgang mit Stadtteilzentrum hingelegt.
Am Tag nach dem G-20-Gipfel fand Olaf Scholz Worte, die nichts an Klarheit zu wünschen übrig ließen: „Die haben zu verantworten, was da passiert ist“, sagte Hamburgs damaliger Bürgermeister mit Blick auf die gewalttätigen Ausschreitungen im Schanzenviertel – und meinte die Linksautonomen in der Roten Flora. Scholz, der damals wegen des G-20-Gipfels politisch extrem unter Druck stand, kündigte an: „Das wird Konsequenzen für die Zukunft haben.“ Sein Geduldsfaden sei gerissen, bekräftigte er auch vier Wochen später, als sich der Rauch der brennenden Barrikaden verzogen hatte. „Ich kann nur allen raten, nicht zu glauben, dass alles so wie vorher sein wird, wenn man nur lange genug wartet.“
Und doch muss man offenbar nur lange genug warten, und alles bleibt, wie es war. In dieser Woche warnt Scholz’ Nachfolger, Bürgermeister Peter Tschentscher, vor „Zündeln“ – und meint nicht etwa die Rotfloristen, sondern diejenigen, die Konsequenzen für das Zentrum fordern. Die G-20-Krawalle hätten einen „Rückfall“ im Aussöhnungsprozess mit der Roten Flora gebracht: „Das müssen wir jetzt überwinden.“ Wenn nun eine Mehrheit der Hamburger gegen die Schließung der Roten Flora sei, dann sei das „ein Zeichen dafür, dass die Grundvernunft der Bürgerinnen und Bürger insgesamt relativ hoch ist“. Und Scholz? Fehlte es dem an Grundvernunft?
Zwischen den Aussagen der beiden SPD-Bürgermeister liegen neun Monate, in denen der rot-grüne Senat eine spektakuläre Kehrtwende hingelegt hat. Sollte er auf Zeit gespielt haben, so ist diese Taktik aufgegangen. Nachdem die Bilder der Zerstörung im Schanzenviertel verblasst sind, hat sich auch die Empörung der Bürger gelegt.
Wer politische Prozesse kennt, weiß, dass es meist ein Zeitfenster dafür gibt, umstrittene Entscheidungen durchzusetzen. Der Senat hätte schnell handeln müssen, wenn er die Flora tatsächlich hätte schließen oder zumindest strengere Regeln einführen wollen. Damals brannten die Bürger vor Wut, während die Linksautonomen einigermaßen kleinlaut waren. Dieses Zeitfenster hat der Senat nicht genutzt.
Man muss sich fragen: Hat Olaf Scholz damals nur deshalb so markige Worte gefunden, um von seinem Versagen beim G-20-Gipfel abzulenken und Entschlossenheit zu signalisieren? Hatte er am Ende gar nicht ernsthaft die Absicht, die Rotfloristen zur Rechenschaft zu ziehen? Oder fehlte der politische Mut, um etwas an der Situation zu ändern? Was genau der Senat eigentlich in der Roten Flora ändern wollte, blieb ohnehin immer unklar.
Auch wenn es unklug wäre, das Zentrum zu schließen: Fatal ist, dass der Senat Stück für Stück den Druck auf die Rotfloristen gesenkt hat. Der aber wäre nötig gewesen, um zumindest das durchzusetzen, was wünschenswert und notwendig ist: die Rote Flora nämlich zu einem wirklichen Stadtteilkulturzentrum zu machen, das grundsätzlich allen offensteht und sich klar von Gewalt abgrenzt. Eben dieses wäre auch Tschentschers Wunsch, wie er bekräftigt. Erreichen dürfte er das Ziel jetzt nicht mehr.
Eine Stadt wie Hamburg kann kulturelle Vielfalt, unterschiedliche Lebensentwürfe und Meinungsstreit vertragen – nicht aber rechtsfreie Räume. Mit dem Abwiegeln des Senats ist das Thema Rote Flora nicht vom Tisch. Bei den nächsten Ausschreitungen, vielleicht schon – wie so oft – in der Nacht zum Maifeiertag, steht es erneut auf der Tagesordnung. Und die Empörung der Bürger ist wieder da.