Die Regierungserklärung des Bürgermeisters war selbstbewusst, aber häufig vage
Regierungserklärungen bieten Politikern die ganz große Bühne: Sie können den Auftritt nutzen, um ihre Zuhörer mitzureißen, indem sie faszinierende Visionen entwickeln. Sie können eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede halten, wenn die Lage dies erfordert. Oder sie können eine Wende in ihrer Politik einleiten, indem sie vernehmlich rufen: „Ich habe verstanden.“
Hamburgs neuer Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat in seiner ersten Regierungserklärung vor der Bürgerschaft keine dieser Erwartungen erfüllt. Das heißt aber auch: Er ist sich selbst treu geblieben, denn die große Show liegt dem nüchternen und pragmatischen Politiker nicht. Dabei hat Tschentscher durchaus selbstbewusst seinen Gestaltungsanspruch für den Stadtstaat formuliert, wenngleich vieles, zu vieles noch vage blieb.
Eins ist aber klar: Tschentscher setzt auf Kontinuität zu seinem Vorgänger Olaf Scholz. Das war bis in die Formulierungen hinein zu spüren, etwa, wenn er vom „Streben nach Glück“ sprach, das die Menschen in die Metropolen ziehe und kluge Politik nutzen müsse. Aber wie sollte es auch anders sein? Tschentscher war sieben Jahre lang Finanzsenator an der Seite des Bürgermeisters Scholz. Nach Scholz war Tschentscher mit seiner konservativen Haushaltspolitik gewissermaßen der zweite Architekt der SPD-geführten Senate. Jede deutliche Kurskorrektur wäre unglaubwürdig gewesen und von der Opposition zu Recht sofort aufgespießt worden.
Nun bedeutet Kontinuität keinesfalls den Verzicht auf eigene Schwerpunktsetzungen. Dass Tschentscher einen kompletten Neubau der Asklepios Klinik Altona ankündigte, wird viele Menschen freuen. Dass er sich für die Streckenführung der neuen U-Bahn-Linie 5 über den Lokstedter Siemersplatz ausspricht, wird zumindest diejenigen freuen, die dort nun besser an den ÖPNV angebunden werden sollen.
Es ist konsequent, dass der Bürgermeister die Themen Wissen und Wissenschaft an die erste Stelle seiner Rede rückte und sie als „entscheidende Dimension unserer künftigen Entwicklung“ bezeichnete. Auch Scholz war zuletzt auf diesem Weg. Die Wahrheit ist: Der Nachholbedarf ist auf diesem Zukunftsfeld in Hamburg besonders groß – trotz einiger Leuchttürme in der Hochschullandschaft.
Wer wie der Bürgermeister die Digitalisierung der Stadt vorantreiben will, muss konkreter und auch ehrgeiziger werden als Tschentscher in seiner Rede. Hier wie auch auf anderen Politikfeldern beließ er es häufiger bei Andeutungen oder Allgemeinplätzen. Dass der Bürgermeister das Thema Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern gar nicht ansprach, ist ein schweres Versäumnis, weil viele Menschen die Frage des bisweilen schwierigen Miteinanders sehr bewegt.
Es ist nachvollziehbar, dass Tschentscher auf die Erfolge der zurückliegenden Regierungsjahre ausgiebig einging: das Wohnungsbauprogramm, der kostenfreie Kita-Besuch, der Ganztagsschulausbau, die Sanierungsoffensive für Straßen und Schulen. Doch die anschließende Debatte zeigte auch: Die Opposition wittert Morgenluft, und CDU-Fraktionschef André Trepoll verhüllte in seiner Rede kaum seine Ambitionen auf die Spitzenkandidatur als Herausforderer von Tschentscher bei der Wahl 2020.
Eine Wahlkämpferregel lautet, dass niemand wegen der Wohltaten der Vergangenheit gewählt wird. So muss Tschentscher fraglos noch nachlegen, will er erfolgreich sein.