Warum der designierte Bürgermeister dem FDP-Chef viel zu verdanken hat.

Ob Peter Tschentscher heute an Christian Lindner denken wird? Ohne den Bundesvorsitzenden der FDP wäre dieser Mittwoch für den Hamburger
Finanzsenator ein Tag wie jeder andere geworden. Hätte Lindner nicht die Verhandlungen über eine Jamaika-Koa­lition zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen platzen lassen, wäre es auf Bundesebene nicht erneut zu einer Großen Koalition gekommen. Ohne die wiederum hätte es Olaf Scholz nicht als Finanzminister nach Berlin gezogen, und in Hamburg hätte sich niemand um die Nachfolge Gedanken machen müssen.

Will sagen: Peter Tschentscher hat es auch und ausgerechnet Christian Lindner zu verdanken, dass er heute
aller Voraussicht nach zum Ersten Bürgermeister gewählt wird. Wenn es einen Beweis dafür gebraucht hätte, wie unberechenbar und überraschend Politik sein kann, wäre er mit dem Macht- und Personenwechsel in Hamburg erbracht. Nichts ist unmöglich.

Das könnte auch ein schönes Motto für den Start der Ära Tschentscher sein. Wie wird sich die entwickeln, wie lange wird sie dauern? Alles ist möglich, und wenn das einer weiß, ist es der designierte Bürgermeister. Er steht vor einer Herausforderung, vor der in dieser oder ähnlicher Form alle Menschen stehen, die eine Führungsposition übernehmen. Er wird an seinem Vorgänger gemessen. Im Idealfall sollte der Neue so durchsetzungsstark, kompetent und politisch vernetzt wie Olaf Scholz sein, gleichzeitig aber bitte etwas empathischer und zum Dialog bereit. Man nehme Scholz’ Stärken, arbeite an seinen Schwächen – dann wären viele zufrieden. Ob das Tschentscher, dem nicht nur inhaltlich eine große Nähe zu Scholz nachgesagt wird, gelingt?

Die Frage ist am heutigen Tag nicht zu beantworten, weil sich der kommende Bürgermeister in der Vergangenheit so gut wie nie öffentlich zu Themen geäußert hat, die außerhalb seines bisherigen Ressorts, also der Finanzpolitik, lagen. Man weiß schlicht zu wenig über ihn, sowohl als Politiker als auch als Mensch. Das wird sich ändern – und damit das Bild, das man in Hamburg von Peter Tschentscher hat. Die Chance zu scheitern ist dabei einerseits nicht klein, wenn man nach einem Bürgermeister des Formats von Olaf Scholz kommt. Andererseits: Sollte Tschentscher ein reibungsloser Übergang gelingen, sollte bald ein eigener Regierungsstil zu erkennen sein, ist das ein größerer Erfolg, als wenn er auf einen schwachen Bürgermeister gefolgt wäre. So wie Scholz selbst, der es als Regierungschef nach Christoph Ahlhaus ungleich leichter hatte.

Peter Tschentscher hat in den vergangenen Tagen zu Recht gesagt, dass ein Bürgermeisterwechsel keine Nebensache sei, auch wenn man im Fall Hamburgs angesichts der Begleiterscheinungen den Eindruck gewinnen konnte. Nein, die Veränderung des Senats ist kein Abfallprodukt der Berliner Koalitionsverhandlungen, sie ist ein Einschnitt für alle Beteiligten und nicht zuletzt für die Stadt. Und sie ist nicht nur eine Chance für Tschen­tscher, sondern für alle politischen Akteure. Die CDU ist endgültig bei der Bürgerschaftswahl 2020 nicht mehr chancenlos – und die Grünen sollten sich einmal Gedanken machen, warum sie bei der Bundestagswahl in Hamburg besser abgeschnitten haben als bei der Bürgerschaftswahl. Vielleicht liegt es daran, dass in Hamburg stark auf den Bürgermeister-Kandidaten geschaut wird – und den hatten die Grünen bisher nicht.

Kann ja jetzt kommen.