Kritik an den Spielen ist notwendig – aber ihre Ideale bleiben wichtig

Man mag es für die passende Pointe dieser am Sonntag zu Ende gegangenen Winterspiele halten, dass ausgerechnet die „Olympischen Athleten aus Russland“ das emotionalste deutsche Gold verhinderten. Wäre das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit der Konsequenz gegen das Staatsdoping von Sotschi 2014 vorgegangen, die der Kampf gegen die hässlichste Form des Sport­betrugs erfordert, wäre der Triumphzug der Eishockeymänner in Südkorea nicht von Russland aufzuhalten gewesen.

Das IOC hat bekanntlich anders entschieden, und weil das Leben auch im Leistungssport nicht im Konjunktiv spielt, sind zwei Lehren zu ziehen aus den 16 Tagen von Pyeongchang. Die erste lautet, dass es sich aller Unkenrufe zum Trotz weiterhin lohnt, für die olympischen Ideale zu kämpfen. Gerade in einer Zeit, in der der durch die sozialen Netzwerke befeuerte Narzissmus das Erstarken falscher Idole befördert, sind echte Vorbilder unerlässlich.

Wer sah, mit welch stoischer Ruhe die Biathletin Laura Dahlmeier bei wechselnden Winden ins Ziel traf und dem auf ihr abgeladenen Erwartungsdruck standhielt, konnte sie nur bewundern. Wer erlebte, wie sich das als Außenseiter durch die Gruppenphase geschlitterte Eishockeyteam mit Leidenschaft und Willen bis zum Silber hocharbeitete, musste den Hut ziehen. Und wer hörte, wie fair der als Topfavorit gewettete Rodler Felix Loch seinen finalen Ausrutscher auf Rang fünf bewertete, der verstand, worum es im Sport gehen sollte: Darum, sein Bestes zu geben – und anzuerkennen, wenn es andere besser können.

Die guten Einschaltquoten beweisen, dass es einen Höhepunkt wie Olympia weiterhin braucht. Ein Fest des Weltsports, das alle vier Jahre auch diejenigen in den Mittelpunkt rückt, die ansonsten im Schatten um ihre Existenz ringen. Ein Zustand im Übrigen, der im Zuge der seit Monaten überfälligen Leistungssportreform dringend verbessert werden muss. Die Idee einer Rente für olympische Athleten ist zwar noch nicht ausgegoren, aber in jedem Fall wert, weitergedacht zu werden. Denn wer weiß, dass ein von der Sporthilfe geförderter Athlet in Deutschland im Schnitt von 626 Euro im Monat leben muss, der kann erahnen, wie schwer es in Zukunft sein wird, mit den Topnationen mitzuhalten. Dass Deutschland in Pyeongchang Rang zwei im Medaillenspiegel erreichte, ist dem technischen Vorsprung und der individuellen Klasse zuzuschreiben. Sich davon blenden zu lassen, wäre fahrlässig. Der deutsche Sport braucht Reformen dringend.

Er braucht aber auch, und das ist die zweite Lehre, die zu ziehen wäre, die Erkenntnis, dass Erfolg nicht einzig am Medaillenspiegel abgelesen werden darf. Es ist wichtig und richtig, dass Olympia hierzulande mit wachsendem Argwohn und mannigfaltiger Kritik begleitet wird. Die Bereitschaft des IOC, Athleten und Zuschauer wie bei den nächtlichen Biathlon- und Skisprungwettkämpfen zur Staffage zu degradieren, nur um den europäischen TV-Markt zufriedenzustellen, war unerträglich.

Auch in Südkorea, alles andere als ein klassisches Wintersportland, gibt es keine nachhaltigen Nutzungspläne für viele der olympischen Stätten. Und auch wenn es positiv ist, dass der Sport die verfeindeten Bruderstaaten Nord- und Südkorea dazu bewegen konnte, miteinander zu reden, wirkte das Ausschlachten der Bilder verstörender nordkoreanischer Jubeltruppen wie der untaugliche Versuch, die Fähigkeiten des Sports zu überhöhen und vom eigentlichen Ver­sagen des Weltsports abzulenken.

Das liegt darin, den Kampf gegen Doping nicht mit der Konsequenz zu führen, die möglich wäre. Witzbolde scherzten bereits, dass die deutschen Eishockeymänner in einigen Jahren, wenn die Analysemethoden weiter fortgeschritten seien, nachträglich ihr Olympiagold erhalten werden. Auch wenn sie es verdient hätten: Im Sinne des Sports ist zu hoffen, dass die Pointe von Pyeongchang nicht im Dopingsumpf versinkt – und die olympische Idee nicht immer weiter mit Füßen getreten wird.