Der HSV steht vor einer Richtungsentscheidung. Doch weder Meier noch Hoffmann können den Abstieg verhindern.
An diesem Wochenende hat der HSV zwei Heimspiele. Heimspiel Nummer eins findet am Sonnabend um 15.30 Uhr im Volkspark gegen Bayer Leverkusen statt. Abstiegskampf, es geht – natürlich – um alles. Trotzdem wurden bislang gerade einmal 43.000 Tickets verkauft, aber der HSV hofft, dass der eine oder andere Anhänger mehr doch noch kommt. Heimspiel Nummer zwei findet am Sonntag ab 11 Uhr in der Kuppel in Lurup statt. Mitgliederversammlung. Und auch hier geht es – natürlich – um alles. 1200 Mitglieder haben sich bislang angekündigt, mindestens 2000 werden wohl kommen – und der HSV hofft, dass es bloß nicht viel mehr werden.
Man darf sicherlich darüber streiten, welches Heimspiel für das Überleben des letzten Bundesliga-Dinos wichtiger ist. Unstrittig ist, dass die Sorge vor zu wenigen Fans am Sonnabend und zu vielen Mitgliedern am Sonntag ziemlich bizarr ist. Zumal der Grund für beide Phänomene der gleiche ist: Dieser HSV ist einfach zu schlecht.
Die ganze Diskussion um den mutmaßlich zu kleinen Veranstaltungsraum für die mit Spannung erwartete Mitgliederversammlung ist hinlänglich bekannt und könnte sich am Sonntag schnell in Luft auflösen, wenn tatsächlich „nur“ 2000 oder sogar weniger Mitglieder kommen. Was bei der Aufregung um die richtige oder falsche Örtlichkeit ganz vergessen wird: In Wahrheit ist es eine Tragödie, dass gerade einmal Pi mal Daumen 2000 von 78.008 Mitgliedern zur wichtigsten HSV-Versammlung seit 2014 erwartet werden. Damals, als knapp 10.000 kamen, wie heute geht es schließlich um nichts anderes als um die Zukunft des HSV.
Auf der Tagesordnung heißt es unter Punkt 14 zwar ganz nüchtern: Wahl des Präsidiums. Aber in Wahrheit stehen die Mitglieder vor einer echten Richtungsentscheidung. Denn anders als in der Politik, wo zuletzt immer darüber geklagt wurde, dass sich die einstigen Volksparteien CDU und SPD immer ähnlicher werden, könnten die zur Wahl stehenden HSV-Kandidaten Jens Meier und Bernd Hoffmann kaum unterschiedlicher sein.
Hier Amtsinhaber Meier, dem allgemein ein gutes Zeugnis als Vereinspräsident ausgestellt wird, der aber als dienstältester AG-Aufsichtsrat dem schleichenden Untergang des Bundesligaclubs nie etwas entgegenzusetzen hatte. Und dort Herausforderer Hoffmann, der kein Geheimnis daraus macht, dass er sich als Präsident des e. V. vor allem auch um die Geschicke der Profifußballer der AG kümmern möchte. Meier wirbt für Realismus, Hoffmann will die Revolution.
Hoffmann wird es nicht gerne hören, aber seine Wahl birgt das deutlich größere Risiko. Der Ex-Vorstandschef gilt nicht gerade als Umarmer, der den Club eint. Nahezu alle Verantwortlichen (Vorstand, Aufsichtsrat, Sportchef, Trainer) stünden vor dem Aus. Und Meier wird es nicht gerne hören, aber eine Wahl seines Konkurrenten wäre auch gleichzeitig die größere Chance. Denn den eisernen Besen, den Hoffmann angekündigt hat, traut man dem besonnenen Meier einfach nicht zu.
Doch wer jetzt die Rechnung „mehr Chancen + mehr Risiko = mehr Stimmen“ aufmacht, der könnte irren. Denn eines sollte Hoffmann nicht: Meier unterschätzen. Der Hafenchef kann auch populär (Horst Hrubesch soll als Berater kommen) und unpopulär (Felix Magath soll nicht kommen). Und Hoffmann? Will die HSV-Welt auf den Kopf stellen. Das klingt gut. Weniger gut ist, dass er dabei offenlässt, wie diese neue HSV-Welt aussehen soll. Meiers HSV-Welt ist dagegen bekannt: Der Aufsichtsrat ist gerade erst berufen – und aus dem Vorstand dürfte (eher früher als später) nur Heribert Bruchhagen ersetzt werden. Ob das gut oder schlecht ist, müssen die Mitglieder entscheiden.
Was die Qual der Wahl zur echten Wahl der Qual macht: Retten werden den HSV in dieser Saison weder Meier noch Hoffmann. Der neue Vereinspräsident kann voraussichtlich einen Neuanfang lediglich in der Zweiten Liga orchestrieren. Damit es vielleicht doch ein Neustart in Liga eins wird, müsste auch Heimspiel Nummer eins am Sonnabend gewonnen werden. Es wäre ein erster wichtiger Schritt in eine bessere HSV-Zukunft. Schritt Nummer zwei könnte dann am Sonntag folgen. So oder so.