Immer montags: Der Fragebogen an die Abendblatt-Autoren, deren Namen man jeden Tag in der Zeitung liest. Heute: Yvonne Weiß

Ich bin Journalist geworden weil: es mir die Erlaubnis gibt, jeden unter dem Schutzmantel meines Jobs einfach so anzuquatschen. Wer bist du? Was machst du da? Ein solches Verhalten würde sonst als neugierig und übergriffig rüberkommen (was es natürlich ist), aber hey, ich mache hier nur meinen Job.

Meine großen Themen sind: Mein Arbeitsmotto habe ich mir aus einem Lied von Robbie Williams geklaut: „Let Me Entertain You“. Ich kann Unterhaltung. Aber ich kann auch anders.

Drei Dinge, die ich an Hamburg am meisten schätze: 1. Bessere Kitas als in Berlin. 2. Weniger Hundekot als in Berlin. 3. Die schnelle ICE-Verbindung nach Berlin.

Drei Dinge, die in Hamburg und im Norden besser werden müssen: Die Staus an den wenigen Sonnentagen Richtung Ostsee. Der Wegzug der Prominenten. Die Angst vor dem Wachstum der Stadt. Wir müssen vielleicht keine Weltmetropole sein, aber Bekanntheit und Investitionen gehen Hand in Hand. Wer Innovationen möchte, wer kluge Leute und Start-ups in die Stadt holen, weiterhin ein breites Kulturangebot und günstige HVV-Preise möchte, der muss ein besserer Gastgeber sein. Und ja, die Mietpreisproble­matik ist mir durchaus bekannt.

Demnächst würde ich gerne mal ein Interview führen mit: meinen beiden Schutzengeln. Eine Engels-Expertin meinte einmal, ich hätte zwei, die permanent hinter mir stehen. Sie würde sie jetzt, da ich mit ihr telefonierte, hinter meiner Schulter sehen.

Das wären meine wichtigsten Fragen: Gibt es euch wirklich? Wie heißt ihr? Woran weiß ich, wann ihr mal Feierabend habt, sodass ich dann besonders vorsichtig bin? Wie gemütlich sind Wolken? Kann ich euch meinen Kindern als Extra-Bodyguards schenken?

Der interessanteste Interviewpartner, den ich bisher hatte: Das ist immer mein letzter. Wenn Leute etwas zu erzählen und damit einhergehend häufig auch etwas zu sagen haben, bin ich nach den Interviews jedes Mal ein bisschen verliebt in ihre Leidenschaft und Weisheit. Ich kann es aber auch übertreiben. Kürzlich sprach ich mit einem Paartherapeuten und war danach fest davon überzeugt, dass mein Mann und ich sofort eine Therapie besuchen müssten. Mein Mann hat über diesen Vorschlag gelacht und gesagt: „Du hast wieder zu intensiv recherchiert!“ Sicherheitshalber habe ich dennoch einen Termin gemacht. Muss ich meinem Mann noch sagen ...

Die schwierigste Geschichte, die ich recherchieren musste: Die schiebe ich seit dem 16.4.2012 vor mir her. In der Nacht starb auf der Geburtsstation des UKE ein Baby vor meinen Augen. Das Gesicht der Mutter und ihre Schreie werde ich nie vergessen. Ich würde so gerne wissen, wie es ihr heute geht, doch ich habe panische Angst vor der Antwort. Also recherchiere ich ihren Namen und ihre Nummer nicht, denn in einem starken Moment würde ich sie anrufen.

An diese Geschichte von mir denke ich gerne zurück: Ich schaue nicht so gerne zurück, weil ich dann vielleicht nicht schnell genug erkenne, was auf mich zukommt. Dennoch habe ich Geschichte studiert. Versteh einer die Frauen.

Bekannte Personen, denen ich als Journalistin begegnen durfte: Beim Weltwirtschaftgipfel in Davos rastete der türkische Ministerpräsident Erdogan vor meinen Augen aus. Mit Heidi Klum fror ich nachts um 2 Uhr unter einer Brücke. Mit Hape Kerkeling lernte ich Walzer tanzen. Beim Kochen mit Tim Mälzer brannten wir beide aus Versehen fast ab. Bei der Goldenen Kamera diskutierte ich mit Richard Gere über die deutsche Teilung. Michael Kunze zeigte mir seine unfassbare Sammlung an Goldenen Schallplatten. Mit Rolf Zuckowski wanderte ich durch Blankenese. Harald Juhnke half ich beim Anziehen einer Hose. Eva Longoria zeigte mir ihren Arbeitsplatz, und Boris Becker log mich in einem Interview an – das merkte ich aber leider erst am nächsten Tag.

Zurzeit arbeite ich gerade an: Ich führe eine Art Protokoll über einen jungen Mann, der 13 Monate im Gefängnis saß und nun versucht, in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen. Ich durfte ihn in der JVA kennenlernen, und es nötigt mir Respekt ab, welche Hürden er zurück in der Freiheit überwältigen muss. Ich hoffe sehr, dass er es schafft. Ja, Sie haben recht, im Distanzhalten bin ich als Journalist eine Fehlbesetzung.

Die meisten Leserbriefe bislang bekam ich zu meinem Artikel: „Das Schweigen der Männer“. In einem Essay hatte ich die #MeToo-Bewegung thematisiert, es gab großen Zuspruch, aber auch sehr selbst entlarvende Briefe von einem Typus Mann, von dem ich dachte, er sei längst ausgestorben. Irritierend.

Neben dem Hamburger Abendblatt lese ich: „Bild“, „Barbara“, mobil, viele Artikel via Blendle und Facebook, die Online-Seiten vom „Guardian“ und „New Yorker“, „Nido“, alle Thermomix-Magazine und in Gesichtern, was meine Freunde auf Instagram posten und jeden Abend Kinderbücher.

Im Moment lese ich das Buch: „Gespräche mit Gott“ von Neale Donald Walsch. Wir haben unseren Sohn gerade schweren Herzens und als eine Art Protest von der katholischen Schule abgemeldet, die Ereignisse in den letzten Wochen waren zu viel des Schlechten. Als Katholiken verstehen mein Mann und ich das Vorgehen der Gottesvertreter nicht, insofern habe ich da durchaus Fragen an ihren Chef.

Vita: Yvonne Elisabeth Weiß arbeitete während ihres Studiums als TV-Autorin beim WDR und dem ZDF, ging anschließend auf die Axel Springer Journalistenschule. Sie war als Redakteurin bei Zeitschriften wie „Allegra“, „Hörzu“ und „Vanity Fair“ angestellt. 2009 kam sie zum Hamburger Abendblatt, wurde 2014 zur Chefreporterin berufen. Sie hat zwei Kinder, spielt gerne Tennis und feiert
jedes Jahr ihren 29. Geburtstag.