Beim HSV haben alle versagt, aber nur der Trainer musste gehen. Hollerbach muss jetzt die Misere ausbaden.
Kontinuität. Der Duden erklärt, was sich dahinter verbirgt: „Stetigkeit; gleichmäßiger Fortgang von etwas.“ Genau darum bemüht sich der HSV Jahr für Jahr. Und obwohl die meisten Menschen behaupten, dass dieses hehre Vorhaben wieder einmal gnadenlos gescheitert ist, so muss doch festgehalten werden: Trainer-Entlassungen gibt es in Hamburg fast Jahr für Jahr. Ja, und auch das ist Kontinuität. Und hinter diesem großen und wichtigen Wort kann man sich auch bestens verstecken. Durch Untätigkeit. Und durch Unfähigkeit. Einfach mal eine Sache kontinuierlich aussitzen. Wie beim HSV geschehen. Deshalb wäre es besser gewesen, wenn nicht nur Trainer Markus Gisdol vor die Tür gesetzt worden wäre, sondern die gesamte Führung. Alle haben krass versagt. Alle. Was 2017 geleistet wurde und was nicht, das ist erbärmlich.
Die große HSV-Legende Uwe Seeler hat dieser Tage so treffend festgehalten: „Der HSV hat auch in dieser Saison leider keine glückliche Hand in Sachen Verstärkungen gehabt.“
Milde ausgedrückt. Für mich hat der HSV seine Lage total verkannt. Obwohl er auf einem guten Weg schien: Am 30. April 2017 kündigte der HSV-Vorstandschef Heribert Bruchhagen in einem „Welt“-Interview an: „Dem HSV steht ein Umbruch bevor.“ Vor einigen Tagen sagte Bruchhagen im Sport1- „Doppelpass“: „Wir haben alle Spieler gehalten, dazu noch einige Verstärkungen geholt ...“ Besser wäre der Umbruch gewesen, denn warum musste man die Spieler eines Fast-Absteigers, der sich gegen Wolfsburg in der 89. Minute rettete, halten? Sie hatten alle ihre Unfähigkeit bewiesen.
Nur der Vereinsführung schien das entgangen zu sein. Bruchhagen ließ es laufen. Und meldete sich immer nur mit Vehemenz zu Wort, wenn die Medien auch nur ein falsches Komma gegen den HSV gesetzt hatten. Dann polterte er los: „Ich wehre mich entschieden dagegen, dass der HSV zu einem Chaos-Club abgestempelt wird.“ Und im Januar-„Doppelpass“ von Sport1 sagte er: „Beim HSV ist wirklich alles in Ordnung – bis auf die sportliche Situation. Wir sind nicht gut genug, wir sind auf Platz 17, das ist unser Problem.“ Ich nenne sie nur „die Märchen-Erzähler aus dem Volkspark“.
Dieter Matz: Kaiser wäre keine Verstärkung für den HSV gewesen
Sie haben alle systematisch für dumm verkauft. Unfassbar. Trainer Gisdol durfte Mitte Dezember noch verkünden: „Zu Hause sind wir eine Macht.“ Es blieb unwidersprochen. Sportchef Jens Todt sagte nach dem Januar-Trainingslager: „Die Mannschaft hat hervorragend gearbeitet, wir brauchen keine neuen Spieler.“ Super! Hatte das Team zuvor nicht hervorragend gearbeitet? Todt behauptete auch: „Wir haben gute Stürmer.“ Wo hat er die bloß versteckt? Und Bruchhagen sagte: „Es gibt im Winter keinen Mann, der uns Soforthilfe garantiert.“
Dennoch wurde um den Leipziger Dominik Kaiser gebuhlt: 29 Jahre, 1,71 Meter groß, 127 Bundesliga-Minuten in den Stiefeln, 16 Minuten in der Champions League. Sieht so Soforthilfe aus?
Gisdol wollte ihn, zum Glück ist Gisdol weg – und Kaiser wohl auch. Es wäre wieder Geld nur zum Fenster hinausgeworfen worden, wenn auch keine Millionen. Aber grausam ist dieses amateurhafte Geschäftsgebaren allemal. Genau wie das Beispiel Bobby Wood, dem man sein Gehalt auf über drei Millionen verdoppelte – weil er ab und zu ins gegnerische Tor getroffen hatte. Oder die Vertragsverlängerung von Gisdol. Zwei Jahre. Alle Achtung! Wo doch jeder weiß, dass die Haltbarkeit eines HSV-Trainers etwa bei einem halben Jahr liegt. Egal, Gisdol bekam zwei Jahre – etwa, weil er so umworben war?
Es ist alles so unfassbar. Jetzt wollen die Herren „dort oben“ hinterfragen, was alles falsch gelaufen ist, wo das Kind fast schon in den Brunnen gefallen ist. Monatelang haben sie zugesehen, wie der Karren in den Dreck gezogen wurde. Sich dagegen wehren? Das war Gisdols Sache nicht: „Ich bin gegen Aktionismus.“ Aha. Und die Führung? Sie wohl auch. Dabei hätten sie ihrem Trainer nur mal Beine machen müssen, doch das hätte wohl Ärger bedeutet.
Nun zieht der neue Trainer Bernd Hollerbach die Leine an. Er hat’s erkannt. Hoffentlich nicht zu spät.