Was Politiker brauchen, die im Deutschland von morgen erfolgreich sein wollen.

Wer einen Einblick in die Zukunft der deutschen Politik und ihrer Politiker haben will, muss in diesem Jahr nach Schleswig-Holstein schauen. Das liegt einerseits an dem jungen Ministerpräsidenten Daniel Günther, der mit seinem ungewöhnlichen Politikstil und erfrischenden Aussagen Woche für Woche mehr Menschen verblüfft – zuletzt etwa, als er die langen Sondierungsnächte in Berlin mit folgenden Worten kritisierte: „Dass die Politiker nachts tagen, ist aus meiner Sicht kompletter Unsinn. Das ist nur Wichtigtuerei, damit sie sich vor Parteikollegen aufblasen können, wie hart man doch verhandele.“ Endlich sagt es mal einer!

Der Mann, der andererseits den Blick in Richtung Norden lohnenswert macht, will an diesem Wochenende neuer Parteivorsitzender der Grünen werden und lässt dort einige Politiker davon träumen, bei Wahlen künftig gleichauf mit der SPD zu sein. Wenn es um Persönlichkeit, um Charisma und Rhetorik geht, spielt Robert Habeck bereits in einer anderen Liga als etwa Martin Schulz. Der schleswig-holsteinische Umweltminister hat es wie wenige andere Landespolitiker vor ihm in die Schlagzeilen und auf die Titelseiten der großen Magazine geschafft. Das liegt an seiner bemerkenswerten Biografie, aber auch an der Sehnsucht der Wähler nach einem neuen Politikertypus. Es muss ja nicht gleich ein deutscher Justin Trudeau oder Emmanuel Macron sein, wobei: warum nicht? Angesichts einer nahenden Regierung unter der Führung nüchterner Politikstrategen wie Merkel, Seehofer und Schulz ist die Aussicht auf den coolen Habeck mehr als verlockend.

Was hat er, was hat aber auch Daniel Günther, was andere deutsche Politiker nicht haben – außer einer Jamaika-Koalition? Das Wichtigste zuerst: Man hört den beiden nicht nur gern zu, man versteht sie auch. Obwohl sowohl Günther als auch Habeck nicht erst seit gestern im politischen Geschäft sind, haben sie sich die dort übliche Sprache nicht angewöhnt, im Gegenteil. Beide antworten in der Regel auf genau die Fragen, die man ihnen stellt, beide halten Reden gern frei. Und beide haben die Aufmerksamkeit und Dankbarkeit ihrer Zuhörer schon dann gewonnen, wenn sie, wie Günther kürzlich vor Unternehmern in Hamburg, einfach behaupten, die eigene Rede in Kiel vergessen zu haben. Will sagen: Politik sieht bei den zwei aus Schleswig-Holstein leicht, beinahe lässig aus, ohne dass man das Gefühl hat, sie würden die behandelten Themen nicht ernst nehmen.

Robert Habeck gelingt bei seinen Auftritten zudem das, was viele Wähler bei anderen grünen Spitzenpolitikern vermissen. Er wirkt so gut wie nie belehrend. Erklärend ja, aber ohne die Attitüde des Besserwissers. Kommt hinzu, dass er zu komplexen, eher theoretischen Fragen meist ein konkretes Beispiel aus seiner Arbeit als Minister hat. Wer dann zuhört, wie Habeck mit Landwirten oder Fischern in Schleswig-Holstein umgeht, versteht, wie sein Politikstil ist: pragmatisch, zuhörend, die Sorgen der Leute ernst nehmend. Das macht ihn dort genauso beliebt wie bei vermeintlich Intellektuellen, die den Grünen als politischen Philosophen feiern, der aus jedem konkreten Problem auch einen grundsätzlichen Überbau ableiten kann.

Dass Habeck darüber hinaus nun wirklich nicht aussieht wie der klassische deutsche Politiker, sei hier nur am Rande erwähnt. Wobei: Wer seine Fotos betrachtet, ahnt, dass der meist gut inszenierte Porträtierte sich auch hier seiner Wirkung bewusst ist.