Der SPD-Vorsitzende sollte offensiv die Sondierungserfolge verkaufen
Der erste Auftritt von Martin Schulz nach Abschluss der Sondierungen mit der Union fand bezeichnenderweise hinter verschlossenen Türen statt. In Dortmund, wo viele Ruhrgebietsgenossen von einer neuen GroKo nichts wissen wollen, warb der SPD-Chef Montagabend bei Delegierten des bevorstehenden Parteitags für den Einstieg in Koalitionsverhandlungen.
Am Wochenende hatte man von Schulz kraftvolle und leidenschaftliche Appelle an die eigene Partei weitgehend vermisst. Während die SPD-Gegner von Schwarz-Rot lautstark mobil machten und die Debatte in ihrem – und für Schulz brandgefährlichen – Sinne prägten, zog sich der Parteichef in seinen Heimatort Würselen bei Aachen zurück. Außer einem Interview in einer Sonntagszeitung war von ihm nicht viel zu hören.
Der Vorsitzende überließ anderen die Arbeit, die eigene Partei von der staatspolitischen Verantwortung einer erneuten Koalition mit CDU und CSU zu überzeugen. Das lief eher schlecht als recht. Seine mächtigen Stellvertreter und GroKo-Kritiker, Rheinland-Pfalz-Ministerpräsidentin Malu Dreyer und der nordrhein-westfälische Landeschef Michael Groschek, sowie die Parteilinke forderten sofort Nachbesserungen am Sondierungspapier, da waren die 28 Seiten aus dem Drucker noch warm. Doch wie glaubwürdig ist das? Dreyer und Groschek verhandelten mit, stimmten am Ende mit Ja.
Die SPD-Spitze sollte jetzt nicht den Fehler begehen, aus Angst vor der Basis den Weg des geringsten Widerstandes zu suchen, sondern selbstbewusst ihren Mitgliedern erklären, was man an Erfolgen durchgesetzt hat. Das ist nämlich gar nicht wenig: Rückkehrrecht in Vollzeit, Rechtsanspruch auf Ganztagsschule, die Sicherung des Rentenniveaus und eine Grundrente, die viele Geringverdiener (die auch steuerlich entlastet werden) zumindest ansatzweise besser vor Altersarmut schützen könnte. Eine „Reichensteuer“ und die Bürgerversicherung sind nicht dabei. Eine 20-Prozent-Partei kann eben nicht erwarten, 100 Prozent ihres Wahlprogramms umzusetzen.
Für Schulz geht es jetzt um alles oder nichts. Es war schon ein Wunder, dass er das schlechteste SPD-Abschneiden bei einer Bundestagswahl politisch überlebte. Ex-Parteichef Sigmar Gabriel lästerte vor ein paar Wochen vor der Bundestagsfraktion, in diesen unruhigen Zeiten müsse ein Parteivorsitzender mehr führen und dürfe nicht nur sammeln. Schulz, den diese Kritik seines „Freundes“ schwer traf, muss nun den Gegenbeweis erbringen.
Bei der Pressekonferenz mit Horst Seehofer und Angela Merkel sprach Schulz von „hervorragenden Ergebnissen“. Nur vergaß er leider, diese für die eigenen Mitglieder aufzuzählen. In Sachsen-Anhalt konnte Topredner Gabriel nicht verhindern, dass der Landesparteitag Nein zur GroKo sagte. Wäre Schulz selbst erschienen, wäre es den Delegierten wohl schwerer gefallen, den eigenen Chef zu düpieren.
Noch ist nichts verloren. Bleiben große Landesverbände wie NRW, Niedersachsen und Bayern auf Linie, kann Schulz den Parteitag, der am Sonntag grünes Licht für Koalitionsverhandlungen geben muss, überstehen. Doch dafür wünscht man sich von ihm eine kämpferische Haltung, keine laschen Ansagen wie „Ich strebe gar nichts an!“ oder „Ein Weiter-so wird es nicht geben!“. Ansonsten droht das, woran weder die Union noch das Land ein Interesse haben sollten: ein Nein der SPD-Mitglieder und eine „Verzwergung“ der ältesten Partei Deutschlands.
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