In der Flüchtlingspolitik ist kein Land in Europa so offen wie die Bundesrepublik – das hat Konsequenzen.
Die Flüchtlingspolitik bewegt nicht nur Menschen und Wähler im Land, sondern auch die Parteien. Ganz so schlicht, wie es die öffentliche Debatte mitunter darstellt, ist es nicht. Nicht nur CSU und CDU liegen über Kreuz, auch anderswo wird gestritten – nur etwas leiser: In der SPD beharken sich Freunde offener Grenzen wie Ralf Stegner mit Kritikern einer ungesteuerten Zuwanderung wie Andrea Nahles. In der Linkspartei liegen Universen zwischen Parteichef Bernd Riexinger und Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Boris Palmer von den Grünen warnte als einer der Ersten 2015 vor der ungesteuerten Migration. Und selbst in der FDP teilt nicht jeder Lindners Kritik an der merkelschen Flüchtlingspolitik.
Die politische Debatte zeigt Verwerfungen, die nicht entlang der alten, ja veralteten Links/Rechts-Gräben verlaufen, sondern die gesamte politische Landschaft durchpflügen. Allein das beweist, wie töricht es ist, jedem Kritiker der Willkommenskultur den Holzhammer Rechtsradikalismus überzubraten.
Unsere Nachbarn bauen an der Festung Europa
Vielmehr führen die Deutschen eine sehr deutsche Debatte. Es sind nicht nur die radikalen Viktor Orbán in Ungarn oder Sebastian Kurz in Österreich, die Migration begrenzen wollen. Auch viele Sozialdemokraten und rot-grüne Regierungen haben ihre Asylpolitik massiv verschärft. Emmanuel Macron lobt zwar Merkels Flüchtlingspolitik, handelt aber ganz anders: „Alle Ausländer in einer illegalen Situation, die eine wie auch immer geartete Straftat begehen, werden abgeschoben“, kündigte er im November an. Nun hat er Anweisung gegeben, mehr abzuschieben. In Holland hat die neue Vier-Parteien-Regierung die Zuwendungen für Asylsuchende gekürzt.
Skandinavien, in Deutschland von der Linken gern romantisch verklärt, ist noch restriktiver. Allen voran marschiert Dänemark, das seit 2002 rund 70-mal seine Immigrationsgesetzgebung verschärft hat. Selbst das rot-grüne Schweden, das 2015 prozentual mehr Flüchtlinge als Deutschland aufnahm, hat eine Kehrtwende hingelegt. Vor Weihnachten erklärte die sozialdemokratische Finanzministerin Magdalena Andersson, die Schweden könnten die Integration angesichts fehlender Jobs und Wohnungen nicht mehr bewältigen. Flüchtlinge sollten sich in Zukunft andere Länder suchen.
Während Deutschland erwogen hat, den Familiennachzug zu erleichtern und damit einen weiteren Anreiz für Migration geschaffen hätte, bauen unsere Nachbarn längst an der Festung Europa. In Dänemark, Österreich oder der Schweiz können subsidiär Schutzberechtigte erst nach drei Jahren einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen. In Griechenland, stramm links regiert, gibt es gar keinen Familiennachzug. Alterstests von vermeintlich minderjährigen Flüchtlingen bleiben hierzulande umstritten, in anderen Staaten sind sie Alltag. In Schweden etwa wurden rund 8800 Flüchtlinge freiwillig untersucht, die sich als Minderjährige ausgaben. 83 Prozent wurden danach als volljährig eingestuft.
Flüchtinge: Deutschland wird Hoffnungsland Nummer eins
Diese Abschreckungspolitik in Norden wie Süden, Westen wie Osten hat Konsequenzen – Deutschland wird zum Hoffnungsland Nummer eins. Die Zahl der aus Skandinavien nach Deutschland festgestellten unerlaubten Einreisen ist um 35 Prozent gestiegen, berichtete unlängst die „Welt“. In den ersten zehn Monaten wurden 2269 Menschen aufgegriffen, vor allem Afghanen, Iraker und Syrer.
Wer will es den Menschen verdenken, sich dort eine Zukunft zu suchen, wo die Bedingungen am besten sind? Nur: Darf es allein die Entscheidung der Migranten sein? Müsste Europa nicht vielmehr einheitliche humane Standards definieren, um den unwürdigen Wettlauf um die abschreckendste Politik zu beenden? Zugleich ist es an der Zeit, hierzulande vom hohen moralischen Ross herabzusteigen: Weder sind wir Deutschen bessere Menschen noch unsere Nachbarn böse Rechte. Doch ausgerechnet die Leute, die eine deutsche Leitkultur Teufelszeug nennen, halten unsere Willkommenskultur in der europäischen Flüchtlingspolitik für den Maßstab. Weniger Gesinnungsethik und mehr Verantwortungsethik läge im Interesse aller. Immerhin: Die neue Große Koalition scheint vom deutschen Sonderweg nun umzuschwenken auf einen europäischen Kurs.