Pastoren setzen eine überfällige Diskussion über Angebote in Gemeinden in Gang.
Ist das noch Kirche, oder kann das weg? Mit dieser provozierenden Frage bringen elf Pastoren aus Hamburg und dem Umland gerade einen schweren Stein ins Rollen. Ihr Arbeitgeber, die evangelische Kirche, muss sich Veränderungsprozessen stellen, sich wohl auch von Diensten trennen. Nun suchen die Geistlichen Wege aus der Krise in einer säkularisierten Gesellschaft. Die Zahl der Gottesdienstbesucher nimmt ab, Geld ist knapp, und engagierter Nachwuchs für den Pastorenberuf fehlt in vielen Kirchengemeinden.
Der Blick der Teilnehmer der Projektgruppe des Kirchenkreises Hamburg-Ost mit dem Namen „U 45“ richtet sich zwölf Jahre in die Zukunft. Die Pastoren im Alter unter 45 Jahren werden im Jahr 2030 noch im Amt sein. Zu einer Zeit, in der sich etwa die Hälfte der heute Aktiven in den Ruhestand verabschiedet haben wird, ohne dass dadurch entstehende Lücken geschlossen werden.
Die Pastoren steuern also auf eine Situation zu, die sie sich nicht ausmalen möchten: Die gleiche Arbeit mit rund 50 Prozent weniger Kraft bewältigen? Vielen fehlt der Glaube, das noch mit ihrem Anspruch an den Beruf vereinbaren zu können. Zumal die Pastoren nach eigenem Empfinden schon heute oft nicht mehr das leisten können, was in den Gemeinden gefragt ist. Ist auch das Ursache für die Abkehr vieler Menschen von der Kirche? Manche gehen nur noch aus Gewohnheit zum Gottesdienst. Weil es in ihrer Familie einfach zum Leben dazugehört. Andere suchen in der Gemeinschaft einen Weg zu Gott. Sie wollen Kraft und Zuversicht schöpfen für ihr Leben, eintauchen in die Spiritualität.
Doch viele Predigten und die Gestaltung der Gottesdienste üben offenbar nicht mehr die gewünschte Faszination auf die Gemeindeglieder aus. Die oftmals leeren Kirchenbänke zeugen davon. Gemeinschaft und regen Austausch finden Junge wie Alte inzwischen häufig in den sogenannten sozialen Medien wie Facebook oder per WhatsApp. Spiritualität erleben sie etwa in Yoga- oder Zen-Gruppen.
Ein weiterer Knackpunkt für die Kirchenvertreter ist die theologische Ausbildung. Das Studium wird den späteren Anforderungen im beruflichen Alltag nach Einschätzung vieler Pastoren nicht gerecht. Zu viel Theorie, zu wenig Praxis, heißt es. Vier bis fünf Jahre lang beschäftigen sich angehende Geistliche damit, wie die Bibel zu deuten und eine Predigt zu halten sei. Auf Trauergespräche etwa, auf die Begleitung von Kranken oder Sterbenden werden sie im Studium kaum vorbereitet. Verwaltung steht nicht auf dem Lehrplan, die Seelsorge kommt zu kurz. Aber beides ist im beruflichen Alltag ungleich stärker gefragt als Gottesdienste. Eine praxisorientierte Ausbildung sieht anders aus.
Die Pastoren der Projektgruppe „U 45“ beweisen Mut, die Probleme zu benennen und mit Traditionen zu brechen. Ihr Vorstoß zu einer Erneuerung der Kirche ist überfällig. Denn auch ihre Institution muss sich den Anforderungen der Gegenwart stellen. Wenn Menschen ins Gotteshaus gehen, wollen sie etwas erleben. In der Gemeinschaft Halt und Orientierung finden. Antworten auf die Fragen: „Woher komme ich, wo gehe ich hin, wer bin ich?“ Die Pastoren benötigen offenbar ein anderes Rüstzeug, um diesen Anforderungen gerecht werden zu können. Und sie benötigen mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe, die Seelsorge. 500 Jahre nach Luther muss sich Kirche nicht ganz neu erfinden, sie sollte sich auf das Wesentliche besinnen.