Jahr eins mit Elbphilharmonie darf für die Stadt nur die Ouvertüre gewesen sein.

Wenn wir uns jetzt alle mal wieder einkriegen über die vielen so schön bunten Artikel, in denen Hamburg oft so großgeschrieben wird, wie es sich so gern fühlt, über die unzähligen Touristen-Selfies mit Elphi, über das Fluchen wegen des chronischen Ausverkauftseins und den Jubel über tatsächlich ­ergatterte Konzertkarten – was bleibt dann, nach dem ersten Jahr Spiel­betrieb in der tollen neuen Elbphilharmonie, von dem bisherigen Wahnsinn? Eine riesige Aufgabe. Komplexer als die verschwundene Baustelle, weil sie ­weniger konkret ist als der Stahl­beton und die Glasfassaden-Elemente, wichtiger (und lukrativer) als so manche andere Branche in dieser Stadt.

Es bleibt: die in so vielerlei Hinsicht lohnende Jahrhundertchance.

In den nächsten Jahren muss diese tatsächlich durch ein Kultur-Thema aufgeweckte Stadt weiter wach bleiben und weiter nach vorn denken, als es bisher getan wurde. Obwohl und weil schon enorm viel getan wurde. Die ­Musik ­bestimmt jetzt zwar Tempo und Takt, doch rund wird die Sache erst laufen, wenn es auch in anderen Kultursparten ähnlich brummt. Wenn die Bewohner dieser Stadt nicht nur in den üblichen Stadtteilen und den erwartbaren Altersklassen das unschöne Gefühl ­haben, es fehlt ihnen im Leben grundsätzlich etwas, sobald sie nicht regelmäßig mit Kultur in Berührung kommen. In welcher Daseinsform auch ­immer. Niemand muss dafür von jetzt auf gleich Goethes „Faust“ bühnenreif aufsagen oder das Schwertmotiv aus Wagners „Ring“ pfeifen können.

Übersprungsbegeisterung muss das nächste große Ziel sein. Begeisterung für die Museen und für die Theater, aber nicht nur die großen. Für die kleinen Clubs, die unerschrockenen Anderthalb-Mann-Labels und nicht nur die großen Selbstläufer-Festivals. Für all die sympathischen Irren da draußen, die sich mit Kultur und für Kultur ständig selbst ausbeuten, weil es sie nun mal glücklich macht, wenn sie andere damit glücklich machen, und sei es nur für die Länge eines Stücks, eines Konzerts, mit einem Bild oder einem Buch. Nicht immer, aber immer öfter. Nicht so einfach, wenn man sich, wie alle Haushaltsjahre wieder, vor ­Augen führt, wie klamm und klein der Kulturetat hier ist und vorerst wohl auch bleiben wird. Obwohl die Bilanz der Stadt nicht von Einnahmen aus Shakespeare-Aufführungen oder Stillleben-Ausstellungen abhängt. Und was in der HSH Nordbank versenkt wurde, könnte ohnehin kein Theater der Welt je wieder einspielen.

Die beiden Säle der Elbphilharmonie mit Publikum zu füllen wird noch einige Spielzeiten lang keine Kunst sein. Der „Stern“ hat das neue Wahrzeichen mit seiner gläsernen Welle kürzlich als „Zauberberg“ bezeichnet. Schöne Formulierung, das, obwohl sich in dieser Anspielung auf den Klassiker von Thomas Mann auch eine drohende Warnung verbirgt. In jenem weltentrückten Schweizer Lungensanatorium, über das Mann vor rund einem Jahrhundert schrieb, war die Avantgarde seiner Gegenwart ja eher nicht zu finden. Dort wabert Endzeitstimmung, ­einige der handelnden Bildungsbürgertums-Charaktere sind entweder skurril verwirrt oder schon mehr tot als noch lebendig.

Das vom Elbphilharmonie-Erfolg inspirierte Gesamt-Kunst-Werk, das fällig wird, muss also ein ganz anderes sein: auf hohem Niveau für so viele zugänglich, so attraktiv wie nur möglich. Dieses Kulturangebot wird sich vielleicht nicht immer „rechnen“. Macht nichts, dafür wird es sich immer lohnen. Andere wird es neidisch machen können. Und die Stadt verdient stolz.