Die Weihnachtsbotschaft bedeutet: Wir können die Welt verändern. Hier und heute.

Es war ein bewegender Moment. Gemeinsam saßen wir vor drei Tagen in der Synagoge an der Hohen Weide, 14 Männer und Frauen aus allen Weltreligionen. Der Landesrabbiner zeigte uns den Chanukka-Leuchter, 1662 gestiftet von Altonaer Juden, wie durch ein Wunder gerettet vor der Zerstörungswut der Nazis. Unser Besuch sollte auch ein Zeichen sein: Nie wieder Antisemitismus in unserem Land! Chanukka war gerade vorbei, ein helles Lichterfest, kurz vor unserer christlichen Weihnacht. Und wir alle, Christen, Muslime, Juden, Buddhisten, Hindus, Aleviten und Bahai: Wir waren ergriffen vom Augenblick. In diesem Moment zählte nicht das, was uns trennt, sondern nur die Begegnung.

Wenn ich unsere Weihnachtsgeschichte lese, dann finde ich darin genau das: Es zählt der Augenblick. „Euch ist heute der Heiland geboren“, sagt der Engel. Heute! Vergrabt euch nicht im Gestern und lasst euch nicht gefangen nehmen vom unsicheren Morgen. Und die Hirten überlegten nicht lange, sondern machten sich auf den Weg. Sie fanden das Kind in der Krippe.

Bischöfin Kirsten Fehrs
Bischöfin Kirsten Fehrs © (c) dpa

Unzählige Darstellungen versuchen, den Moment festzuhalten, in dem sich so unterschiedliche Menschen begegnen: Maria, Joseph, das neugeborene Kind, die Hirten, die weisen Sterndeuter. Und Ochs und Esel auch noch dabei. Ein paar nächtliche Stunden, dann zogen alle wieder ihrer Wege. Aber zutiefst verändert durch diesen einen unvergesslichen Moment.

Ich wünschte mir, wir könnten öfter den Augenblick leben. Wir sind eine recht nachdenkliche Gesellschaft – „besonders gerne denkt ihr Deutschen ja über euch selbst nach“, so habe ich es von ausländischen Freunden oft gehört. Das könnte stimmen. Manchmal sind wir wirklich zu grüblerisch, stecken zu sehr im Gestern fest. War nicht früher alles besser? Die Welt friedlicher, die Verhältnisse übersichtlicher, die Kirchen voller, die Schüler klüger und der Sommer wärmer? Und gerade jetzt in der Weihnachtszeit überkommen einen schnell nostalgische Gefühle voller Kindheitsträume und unerfüllter Sehnsucht.

Doch nicht nur die Vergangenheit treibt uns um – sehr viel Zeit verbringen wir auch mit Zukunftsprognosen. Wann endlich bekommen wir eine neue Regierung? Wird der Klimawandel unsere Küsten versinken lassen? Was wird aus dem Christentum? Und wer zahlt später die Renten? Natürlich ist es gut, sich Gedanken zu machen und Vorsorge zu treffen. Aber viel zu oft mischt sich ein ängstlicher und verzagter Ton in die Debatten, der verhindert, dass wir überhaupt den ersten Schritt tun und aufbrechen.

Wir sollten uns weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft verlieben. Die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern, die Zukunft nicht vorhersagen. Erst einmal steht etwas anderes auf dem Programm: die Gegenwart, das Heute, das Jetzt. Das ist für mich die Botschaft der Weihnachtsgeschichte.

Nicht im ängstlichen Grübeln liegt der Trost, sondern im beherzten Tun und Dasein – heute. Und dieses Jetzt ist unmittelbar mit dem Nächsten verbunden. Es ereignet sich in der Gegenwart, in der ich einen Bettler sehe oder ein Kind, das etwas von mir möchte. In der eine Fremde mich nach dem Weg fragt und ein einsamer Mensch meine Zuwendung erbittet.

Weihnachten heißt für uns Christen: Es ist die Zeit angekommen, um dem Erbarmen Gottes auf die Welt zu helfen. Geboren als Kind in bitterer Not, ist Gott in dieser besonderen Nacht Mensch geworden. Und auch wenn die anderen Weltreligionen da nicht mitgehen können, ist doch schon viel erreicht, wenn wir einander zu Mitmenschen werden. Das geht nur in direkter Begegnung, in bewegenden Momenten, die uns und vielleicht sogar die Welt verändern können. Hier und jetzt.

Ich wünsche Ihnen ein lichtvolles, gesegnetes Weihnachtsfest!