Der Trainerwechsel beim FC St. Pauli dokumentiert auch die Fehleinschätzungen der Führungskräfte

Oft und auch sehr gern betonen die Führungskräfte des FC St. Pauli, dass ihr Club der „etwas andere Verein“ sei. Dafür gibt es zweifellos auch diverse Belege. Einer davon ist die Tatsache, dass sich der Club im Haifischbecken des Profifußballs noch immer und auch in absehbarer Zukunft als mitgliedergeführter, eingetragener Verein durchschlägt und den Lizenzspielerbereich nicht zu einer Kapitalgesellschaft umwandeln und ausgliedern will. Selbst weit umsatzschwächere Konkurrenten haben diesen Schritt längst vollzogen, um sich für externe Investoren interessant zu machen.

Der Autor ist St.-Pauli-Reporter beim Abendblatt
Der Autor ist St.-Pauli-Reporter beim Abendblatt © HA | Klaus Bodig

In den vergangenen Tagen allerdings hat der FC St. Pauli eine Personalentscheidung getroffen, die nur als „stinknormal“ oder, um es etwas gehobener auszudrücken, „branchenüblich“ zu bezeichnen ist. Dass nach zwei Monaten ohne einen Sieg und zwei direkt aufeinanderfolgenden hohen Niederlagen mit zusammen neun Gegentoren der Cheftrainer, in diesem Fall Olaf Janßen, seinen Hut nehmen muss, ist nun wirklich nicht gerade ein außergewöhnlicher Schritt.

So erfolgreich es war, Janßen vor einem Jahr in einer sportlich weitaus dramatischeren Krisensituation als Co-Trainer zu verpflichten und dem zu jenem Zeitpunkt ratlos wirkenden Ewald Lienen an die Seite zu stellen, so riskant war es letztlich, Janßen im Sommer zum Cheftrainer zu befördern. Dabei sind bei ihm weder die rein fußballfachliche Kompetenz noch die charakterlichen Eigenschaften zu bemängeln – ganz im Gegenteil. Wer aber in 14 Jahren Trainerdasein nur rund ein Jahr als Chefcoach im Profibereich tätig war, hat wahrscheinlich zu wenig Erfahrung, um als verantwortlicher Übungsleiter eine in die Krise schlitternde Mannschaft wieder auf den richtigen Kurs zu bringen.

Dieses Defizit ist in den vergangenen Wochen deutlich zutage getreten. Janßen schien angesichts immer wiederkehrender Fehler und Nachlässigkeiten seiner Mannschaft, zum Beispiel bei der Verteidigung gegnerischer Ecken und Freistöße, schier zu verzweifeln. Dass er auf das sportliche Abdriften ins Tabellenmittelfeld und schließlich in die erneute Abstiegsgefahr mit hektischen Personalwechseln reagierte, trug zudem nicht dazu bei, seinem Team das Selbstvertrauen wieder einzuhauchen, mit dem es im vergangenen Frühjahr noch eine atemberaubende Erfolgsserie hingelegt hatte.

Olaf Janßen hatte sich zum Ziel gesetzt, aus der wohl besten Kontermannschaft der Zweiten Liga ein Team zu formen, das erfolgreich Ballbesitz-Fußball spielt. Auf dem schweren, mit der personellen Besetzung wohl auch zu schweren Weg dahin verlor die Mannschaft ihre defensive Stabilität. Das hatte sich Janßen zweifellos anders vorgestellt, aber womöglich überfrachtete er sein Team mit taktischen Vorgaben und überforderte es damit. Zuletzt schlug Kapitän Bernd Nehrig Alarm und propagierte die Rückkehr zur kompakten Spielweise.

Wenn sich also jetzt Präsidium, Aufsichtsrat und Geschäftsführung einig waren, dass Olaf Janßen durch Markus Kauczinski abgelöst werden muss, so ist dies auch ein Eingeständnis, im Sommer die Fähigkeiten Olaf Janßens als Cheftrainer in einer Krisenlage zu optimistisch eingeschätzt zu haben. Sie sind damit ein für den Verein zu großes Risiko eingegangen. Dies schlägt jetzt auch finanziell schmerzhaft zu Buche.

Hinzu kommt, dass sich die Zusammenstellung des Kaders im Sommer, für die noch nicht der aktuelle Sportchef Uwe Stöver, sondern Geschäftsführer Andreas Rettig gemeinsam mit dem Präsidium verantwortlich war, bisher noch nicht als ideal erwiesen hat. Insbesondere die Neuzugänge Sami Allagui und Clemens Schoppenhauer haben sich nicht als die erhofften Verstärkungen entpuppt. An beiden liegt es nun auch selbst, durch Leistung zu beweisen, dass ihnen bisher beim FC St. Pauli nur der richtige Trainer gefehlt hat, um ihr tatsächliches Vermögen zu zeigen, wenn es darauf ankommt.