Wir alle sind das Problem im Hamburger Straßenverkehr. Also lasst uns umdenken

„Fahr vorsichtig!“, simste mir neulich eine Freundin, die wie ich jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit fährt. „Die sind alle wieder total aggro heute.“ Als ich im Büro angekommen war, wusste ich, was sie meinte: Autofahrer, die an der Ampel mit hohem Tempo rechts abbiegen, ohne auf die geradeaus fahrenden Radfahrer zu achten. Radfahrer, die Rot ignorieren und beinah einen Fußgänger umfahren. Fußgänger, die ohne zu gucken auf den Radweg laufen. Kommt dann, wie an diesem Morgen neulich, Nieselregen hinzu, wird noch mehr gehupt, geflucht und der Stinkefinger gezeigt.

Die Autorin ist stellvertretende Leiterin des Hamburg-Ressorts
Die Autorin ist stellvertretende Leiterin des Hamburg-Ressorts © Massimo Rodari

Was ist nur los mit uns? Warum benehmen wir uns so rücksichtslos? Und woher kommt diese Aggressivität?

Die Studie des ADAC liefert einige Hinweise. Als Autofahrer ständig im Stau zu stehen, um dann Ewigkeiten einen Parkplatz zu suchen, kann nerven. Ebenso wie sich als Radfahrer trotz des massiven Ausbaus vielerorts über viel zu schmale, kaputte, plötzlich endende, zugeparkte oder schlicht nicht vorhandene Radwege schlängeln zu müssen. Doch das darf keine Entschuldigung sein.

Denn es gibt im Straßenverkehr eine einfache Regel: Man muss sich an die Regeln halten. Nicht, weil es die Straßenverkehrsordnung vorschreibt, sondern weil sie ein Miteinander im Verkehr überhaupt möglich machen. Jeder Verkehrsteilnehmer muss sich auf den anderen verlassen können – für alles andere haben wir auf unseren Straßen im wahrsten Sinn keinen Platz.

Eine wichtige Regel muss aber auch sein, sich kurz in den anderen hineinzuversetzen, bevor man wütend auf die Hupe drückt. Nicht jeder Autofahrer übersieht mit Absicht einen Radfahrer, und nicht jeder Radfahrer hält Fußgänger für Verkehrshindernisse. Dazu gehört auch, nicht „die Autofahrer“ oder „die Radfahrer“ alle jeweils über einen Kamm zu scheren. Wir steigen alle mal in den Pkw, aufs Rad, in die Bahn und gehen zu Fuß und sollten Verständnis für die unterschiedliche Sicht aufbringen. Und mehr Geduld.

Das mag wahnsinnig naiv klingen, doch im Grunde ist es ganz einfach.

Viel schwerer ist es weiterhin, ein grundsätzliches Umdenken zu erreichen. Denn ganz ehrlich: Als Autofahrer gerät man nicht in einen Stau, man ist Teil davon. In einer Stadt, die unablässig wächst und deren Bevölkerung massiv unter CO2- und Stickoxid-Belastung leidet, ist der selbstgerechte Anspruch, im eigenen Auto ständig überall freie Fahrt zu haben, anmaßend und längst nicht mehr zeitgemäß. Niemand will Autos komplett aus der Stadt verbannen. Jeder ist mal darauf angewiesen – aber ganz sicher nicht jeder, der damit wie selbstverständlich täglich zur Arbeit fährt. Und dann über verstopfte Straßen meckert. Oder über deren schlechten Zustand – und gleichzeitig über zu viele Baustellen.

Stets nur den eigenen Weg, den eigenen Komfort im Blick zu haben ist ebenfalls rücksichtslos.

Der rot-grüne Senat darf sich jetzt nicht von Oppositionskritik und ADAC-Forderungen im Sinne des Autoverkehrs beeindrucken lassen. Der Platz auf den Straßen ist immer noch viel zu ungerecht verteilt. Allerdings ändern Leuchtturmprojekte wie eine 1,3 Kilometer lange Rad-Express-Strecke in der City Nord daran nur wenig. Wir brauchen Masse: durchgängig befahrbare Radwege, gute Abstellmöglichkeiten, Bahnen, in denen man zu jeder Zeit sein Rad mitnehmen kann, kostenlose P+R-Plätze. Damit wir nicht nur umdenken, sondern auch umsteigen. Und alle besser ans Ziel kommen.