Ob ein erneutes Bündnis aus Union und SPD dem Land hilft, steht noch dahin

Und sie bewegt sich doch: Die SPD hat die Weichen neu gestellt – bis eben schien eine Neuauflage der Großen Koalition ausgeschlossen, nun werden schon Wunschlisten diktiert. Nur wer Neuwahlen oder eine Minderheits­regierung favorisiert, darf sich über den Sinneswandel der SPD mokieren. Die Mehrheit der Deutschen möchte keine Experimente, sondern stabile Verhältnisse.

Ob das Land gut fährt mit einer Neuauflage der Koalition, die das Eigenschaftswort „groß“ kaum verdient, steht noch dahin. Eigentlich ist ein Zusammengehen der beiden größten Parteien der Ausnahmezustand der Demokratie. Es ist eine Koalition für schlechte Zeiten. Als das Wirtschaftswunder Mitte der 60er-Jahre abrupt stoppte, brachte Schwarz-Rot unter Kanzler Kiesinger und Wirtschaftsminister Karl Schiller Deutschland zurück in die Wachstumsspur. 2005 wagte die Große Koalition unter Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Franz Müntefering mutige Reformen wie die Rente mit 67 und steuerte das Land klug durch den Schock nach der Lehman-Pleite.

Es ist schwieriger, ein Land in schwerer Zeit auf Kurs zu halten, als es in guten Zeiten vom Weg abzubringen. Letzteres ist der letzten Koalition von Sozial- und Christdemokraten gelungen: Die Große Koalition hat in der Flüchtlings- und Europapolitik schwere Fehler gemacht. Der Kontinent mag wirtschaftlich vorangekommen sein, politisch ist er gespalten wie lange nicht: Die Briten werden die EU verlassen, die osteuropäischen Staaten sind auf Krawall gebürstet. Das alles hat der Alleingang der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik 2015 mitverursacht. Auch in Deutschland war die Situation schon besser: Erstmals sitzt eine rechtspopulistische Partei im Parlament, die Laune vieler Menschen ist deutlich schlechter als die Lage.

Eine der Ursachen für die schwache Bilanz des dritten Merkel-Kabinetts liegt in der Linksverschiebung der Union. Früher standen CDU und CSU für eine wirtschaftsfreundliche, konservative Politik und die Sozial­demokraten für eine soziale und liberale Gesellschaftspolitik. Heute gerieren sich große Teile der CDU wie eine zweite SPD und drängen die Sozial­demokraten nach links. Entsprechend radikal lesen sich die SPD-Forderungen nach höheren Mindestlöhnen, der Rente mit 63 oder einem Einstieg in die Bürgerversicherung. Damit würden die Sozialdemokraten ihr großes Erbe der Agenda 2010 endgültig neutralisieren.

2005 war die Große Koalition ein Bündnis von zwei reformorientierten Partnern, 2017 droht eine Neuauflage mit zwei sozialdemokratischen Parteien. Das Scheitern von Jamaika hat die Kräfteverhältnisse auf den Kopf gestellt: Während die Union hilflos ist, präsentiert sich die SPD trotz der 20,5 Prozent selbstbewusst. Das wird die Preise treiben: Schon 2013 konnten die Sozialdemokraten mehr Programmpunkte durchsetzen als die Union.

Wie vor vier Jahren droht nun ein Bündnis des kleinsten gemeinsamen und teuersten Nenners. Weil die Steuereinnahmen sprudeln, dürften Koalitionsverhandlungen zum weihnachtlichen Wünsch-dir-Was werden. Wohltaten für die Klientel des einen könnten mit Geschenken für die Anhänger des anderen kompensiert werden. Zumal noch völlig unklar ist, wer in die Rolle von Wolfgang Schäuble schlüpfen wird – und ob der neue Finanzminister das Geld zusammenhält.

Derzeit bedarf es viel Fantasie und Optimismus, um sich auf eine Große Koalition zu freuen.