Onlinehandel setzt Hanse-Viertel & Co. unter Druck. Was tun gegen den Niedergang?
Die Miniatur-Wunderland-Gründer Gerrit und Frederik Braun denken gerne in größeren Maßstäben. Nun haben die beiden Hamburger aus der Speicherstadt, die ihre Erfolgsgeschichte im Buch „Kleine Welt, großer Traum“ aufgeschrieben haben, dem Internetriesen Amazon den Kampf angesagt. Sie fordern ihre Fans, die das neu erschienene Werk kaufen wollen, auf, dies nicht bei Amazon zu tun. „Die Großkonzerne würden wahrscheinlich für einen Cent Dividende 1000 Mitarbeiter entlassen, zahlen kaum Steuern und verursachen einen wahnsinnigen Verpackungsmüll, Staus auf den Autobahnen und dreckige Luft“, warnen die Wunderländer. Ihre Alternative: der liebevolle Buchladen um die Ecke. Die Botschaft kommt an: Schon mehr als 1,6 Millionen Menschen haben sich den Aufruf auf der Facebook-Seite, einem weiteren US-Internetkonzern, angeschaut.
Die Frage nach der Zukunft des Einzelhandels ist längst nicht mehr ein Diskussionspunkt für Fachsymposien, sondern die Überlebensfrage für eine ganze Branche und die Stadtentwicklung. Was aus 3,7 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel wird – und aus den Erdgeschosslagen sowie ganzen Innenstädten – muss endlich diskutiert werden. Es ist ja verständlich, dass sich der Wirtschaftssenator freut, wenn Amazon 200 Arbeitsplätze in Hamburg schafft. Noch mehr aber würde man sich freuen, wenn die Politik Strategien gegen das Ladensterben ersönne: Bis 2020 dürfte sonst jedes zehnte Geschäft schließen, rund 45.000 Läden.
Viel wäre schon erreicht, wenn der stationäre Handel gegenüber den Internetmultis die gleichen Chancen bekäme: Doch während die einen oft gut ausgebildete Fachkräfte bezahlen müssen, sparen die anderen mit Aushilfen; während die einen teilweise absurd hohe Mieten berappen müssen, benötigen die anderen nur eine Leichtbauhalle auf der grünen Wiese; und während bei den Kleinen der Fiskus genau hinschaut, profitieren Multis vom internationalen Steuerdumping. Etwa im Luxemburg des Herrn Juncker: Gerade hat die EU-Kommission Amazon wegen illegaler Vergünstigungen in Luxemburg zu einer Steuernachzahlung von 250 Millionen Euro verdonnert. Das kann nur ein Anfang sein.
Es wäre zu wenig, die Krise der Innenstädte allein auf die Internetkaufhäuser zu schieben: Die Maximierung der Mieten hat die Geschäftsstraßen austauschbar gemacht: Längst gleichen sich nicht nur deutsche Großstädte wie eineiige Zwillinge, sondern alle europäischen Metropolen. Dieselben Marken, dieselben Filialisten, sogar dieselben Gastronomieangebote machen Mailand und München, Hamburg und Helsinki verwechselbar. Und das Erlebnis Einkaufsbummel austauschbar.
Vor diesem Hintergrund ist das Flächenwachstum in Hamburgs Innenstadt – von den Stadthöfen über die Passage Alter Wall bis zum Überseezentrum – mutig bis tollkühn. Stadtentwicklung wird bald gezwungen sein, sich mit neuen Nutzungen von Erdgeschossen zu befassen. Und Vermieter müssen zu Abstrichen bereit sein. Nachhaltig ist nicht länger der höchste Ertrag, sondern das beste Konzept. Zugleich reicht es nicht mehr, als Einzelhändler Standardware von der Stange ohne Service feilzubieten. Die Kunden wiederum sollten nicht mitleidig das Sterben des Handels beweinen, sondern anders einkaufen. Wie wusste schon der deutsche Romantiker Clemens Brentano? „Man soll Mitleid mit niemand haben, man soll sich vielmehr schämen, dass es so werden konnte!“