Um zu erkennen, dass der Brause-Club das Spiel gegen Bayern gewonnen hat, braucht man keinen Videobeweis.

Wenn die Strategen in der Chefetage von RB Leipzig tatsächlich so eiskalt kalkulierend sind, wie viele Fußballfans ihnen unterstellen, dann müssten dort in der Nacht zu Donnerstag die Champagnerkorken im Akkord geknallt haben. Denn die Niederlage im Elfmeterschießen in der zweiten DFB-Pokalrunde gegen Bayern München war sehr viel mehr wert als die 527.000 Euro, die der Gegner als Prämie für den Einzug ins Achtelfinale erhält. Die wichtigste Währung für eine Marke ist Sympathie. Und die fliegt – durch falsche Schiedsrichter-Entscheidungen begünstigt – den Unterlegenen gerade in Schwärmen zu. Und das ist dem Brause-Club wahrlich noch nie passiert.

Ob man will oder nicht: Die Emotionen sind echt

Selbst eingefleischte Leipzig-Gegner (von denen es Millionen gibt) ertappten sich während des ungemein emotionalen Spiels dabei, RB die Daumen zu drücken (auch wenn sie es kaum zugeben würden). Das lag zum einen am Gegner, den Alles-Gewinnern aus München, denen man ja aus Prinzip jede Niederlage gönnt. Vor allem aber an der Geschichte dieses besonderen Fußballspiels.

In dem war eben nichts zu sehen vom planmäßig und strategisch mit Hunderten Millionen Euro vom österreichischen Limonaden-Milliardär Dieter Mateschitz aufgebauten Fußball-Imperium, das deswegen 2008 in Leipzig entstand, weil die Manager dort die größte geografische Bundesliga-Lücke Deutschlands und das größte Marketing- und Fan-Potenzial ausgemacht hatten. All das stimmt, man kann, vielleicht muss man es verurteilen – aber am Mittwochabend standen mehr als 40.000 Leipziger hinter elf Fußballern, die sich leidenschaftlich gegen die Niederlage wehrten. Das Imperium war plötzlich in der Rolle des Underdogs gegen das Establishment.

Dazu trug entscheidend Felix Zwayer bei. Der 36-jährige Berliner hat eigentlich eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Mit 23 wurde er DFB-Schiedsrichter, mit 29 gab er sein Bundesliga-Debüt. 2014 war er Schiedsrichter des Jahres, und vor wenigen Monaten wurde er „Elite-Schiedsrichter“ der Uefa – die höchste Kategorie des europäischen Fußballverbands. Dass er als junger Assistent des korrupten Schiedsrichters Robert Hoyzer mal 300 Euro angenommen hatte, haben DFB und Öffentlichkeit ihm längst verziehen.

Am Mittwoch aber hatte er einen rabenschwarzen Tag. Die Bayern verdanken (auch) ihm den Sieg, die Leipziger ihm ihre (neue) Rolle als sympathischer Verlierer – und DFB und DFL verdanken ihm eine erneute Debatte um den Videobeweis. Dabei geht es vor allem um eine Szene in der 34. Minute, als Zwayer nach einem Foul von Arturo Vidal an Emil Forsberg spontan auf Elfmeter entschied – um dann nach Beratung mit seinem sehr weit entfernten Assistenten doch Freistoß zu geben, weil das Foul außerhalb des Strafraums stattgefunden habe.

Nun ist es zwar merkwürdig, dass der Videobeweis im Pokal erst ab dem Viertelfinale eingesetzt wird (das Argument, das sei für Amateurvereine zu teuer, taugt für dieses Spiel kaum). Doch das hätte in der Elfmeterfrage auch wenig genutzt – denn selbst nach der 20. Zeitlupe kann man weiterstreiten, ob das Foul nun im oder vor dem Strafraum war.

Doch die Debatte lässt sich nur noch schwer beruhigen. Wenn es den Video-Schiedsrichter schon gibt, so argumentieren viele, dann solle er auch öfter eingreifen, etwa bei zu Unrecht (nicht) gegebenen Gelben Karten – noch so eine Frage, die nach dem Leipzig-Spiel bei vielen für erhöhten Blutdruck sorgte. Andere sehen Sportarten wie Hockey als Vorbild und wollen, dass jede Mannschaft pro Halbzeit ein- oder zweimal den Videobeweis verlangen kann.

Eines sollte aber allen klar sein: Das Spiel wird dann nicht nur ständig quälend lange unterbrochen, es wird auch jede Pause für Werbeeinspieler im Fernsehen genutzt werden.

Und das freut dann nur eine sehr kleine Minderheit: die eiskalten Marketingstrategen.