Das neue Millionenminus zeigt, wie bedrohlich die Lage des Clubs ist. Nicht nur amtierende Aufsichtsräte sollten sich hinterfragen.
„Was muten wir den Leuten zu?“, fragte Karl Gernandt. „Einen schlecht geführten Fußballclub, schlechten Fußball. Und dann stehlen wir den Leuten auch noch die Zeit.“ Klingt aktuell. Gesagt hat das der heutige Aufsichtsrat des HSV jedoch im Mai 2014, kurz vor der Ausgliederung der Profiabteilung.
Um drei Jahre Zeit warb die neue Führung damals. Zeit, um die richtigen Weichen für den sportlichen Aufschwung zu stellen und den Club zu entschulden. „HSVPlus – Aufstellen für Europa“, so lautete der kernige (und heute wie ein Hohn klingende) Slogan während des strategisch klug geführten Wahlkampfs, mit dem erfolgreich die Basis mobilisiert werden konnte.
Die sportlichen Ergebnisse sind bekannt. Titel gibt es derzeit nur hinsichtlich von Relegationsteilnahmen zu gewinnen. Als die HSV Fußball AG nun aber gestern die vorläufigen Geschäftszahlen für die Saison 2016/17 auf ihrer Homepage veröffentlichte, dokumentierten diese das krachende Scheitern der Umsetzung von HSVPlus.
Im Mai 2014 einte die überragende Mehrheit der Mitglieder der Wunsch nach finanzieller Solidität, nach Entschuldung. Die nun vorliegenden Zahlen lassen nur einen Schluss zu – den der Misswirtschaft. Mit 105,5 Millionen Euro Verbindlichkeiten hat der HSV eine neue negative Rekordmarke erreicht. Das Jahresminus in Höhe von 13,4 Millionen Euro bedeutet das siebte negative Ergebnis in Folge. Zahlen des Grauens. Hauptverantwortlich dafür ist vor allem der frühere Vorstand um Dietmar Beiersdorfer, der den HSV im Dezember 2016 verließ.
Die Zahlen zeigen aber auch, dass der Club nicht in erster Linie ein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem hat. Die HSV-Führung (inklusive Aufsichtsrat) hat in der Vergangenheit zu viele falsche Entscheidungen getroffen, sie hat auf dem Transfermarkt mit Millionen für Mittelmaß nur so um sich geworfen und zu hohen Gehältern zugestimmt. Vermutlich würden jedem HSV-Fan die Haare zu Berge stehen, wären dazu die Spielerberater-Honorare für getätigte Wechsel öffentlich.
Noch schlimmer: Wer im aktuellen Kader nach Fußballern sucht, die im Zweifel mit Gewinn verkauft werden könnten, muss lange schauen. Ein deutlicher Hinweis, wie alarmierend die Lage beim HSV nach wie vor ist. Zur Entschuldung benötigt der Club einen sportlichen Aufschwung, doch dazu braucht es mehr als einige hoffnungsvolle Talente.
Zu den primären Aufgaben von Beiersdorfers Nachfolger Heribert Bruchhagen gehörte, sorgfältiger mit dem Geld des Vereins umzugehen, und zwar in allen Bereichen. Von einem konsequenten Sparkurs ist aber nichts zu erkennen. Durch die Wintertransfers (Papadopoulos, Mavraj und Walace) stieg das Minus des Geschäftsjahres 2016/17 noch einmal an, und im Sommer gelang es Bruchhagen nicht, den Gehaltsetat zu drücken. Im Gegenteil, er stieg noch einmal an.
Natürlich, ohne Notverpflichtungen nach der Hinrunde wäre der HSV wohl abgestiegen. Aber das kann nicht die Strategie für die Zukunft sein. Schon jetzt deutet sich an, dass der HSV im Winter angesichts seines qualitativ engen Kaders nachbessern muss. Spätestens dann werden alle aktuellen Pläne von einem ausgeglichenen Ergebnis wieder Makulatur sein.
Angesichts dieser Lage fragt man sich zweierlei: Wieso kommen amtierende Aufsichtsräte auf die Idee, weitermachen zu wollen? Und wie würde der HSV die finanziellen Folgen eines Abstiegs bewältigen wollen?